Empfehlungen in Politik überführen
Der Vorsitzende des Strategischen Dialogs (SD), Prof. Peter Strohschneider, über die nun notwendigen Schritte, die konstruktive Rolle des europäischen Bauernverbandes sowie die Atmosphäre während der zahlreichen Gesprächsrunden.
Herr Strohschneider - Sie haben als Vorsitzender des Strategische Dialogs nun mit 110-Seiten einen umfangreichen Abschlussbericht mit zahlreichen Empfehlungen vorgelegt. Wie geht es jetzt weiter?
Zum einen werden die Empfehlungen in den politischen und administrativen Prozess überführt. Mir ist bewusst, dass dies nicht einfach wird, zumal was die Ausgestaltung zukünftiger Legislativakte anbelangt. Zweitens geht es um die Weiterverfolgung der konzeptionellen Linie, die der Strategische Dialog gelegt hat. Ich würde erwarten, dass dies in engem Zusammenhang steht mit der von Kommissionspräsidentin von der Leyen bereits für die ersten einhundert Tage der neuen Kommission angekündigten Roadmap zur Zukunft von Landwirtschaft. Drittens geht es vor allem darum, was die Mitglieder des Dialogs selbst tun müssen.
Was meinen Sie damit genau?
Diese Dimension kennen wir bereits aus der deutschen Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Sehr viele der Spannungen im Agrar-, Umwelt- und Ernährungsfeld sind ja komplexe gesellschaftliche Konfliktlagen, die auch die von den Mitgliedern vertretenen Organisationen prägen und das ist auf europäischer Ebene deutlich ausgeprägter als auf der nationalen Ebene. Die Integrationsleistung der Bauernverbände umfasst ein enormes Spektrum höchst unterschiedlicher Produktionsformen und Geschäftsmodelle von Kleinstbetrieben bis hin zu nahezu voll automatisierten Produktionszweigen. Und Vergleichbares gilt natürlich auch für die Umweltorganisationen und die Ernährungswirtschaft. Die Teilnehmer des Strategischen Dialogs haben daher in ihren Verbänden nun die Aufgabe, den gemeinsam erarbeiteten Konsens weiterzuverarbeiten und in verbandspolitische Linien zu übersetzen.
Nehmen wir die Bauernverbände als Beispiel. Copa-Präsidentin Christiane Lambert hat sich relativ wohlwollend gegenüber den Ergebnissen gezeigt. Eines der großen Copa-Mitglieder, der DBV, hat hingegen die Resultate deutlich kritisiert. Bauernpräsident Joachim Rukwied hat von Enttäuschung gesprochen.
Wer sich nicht die Mühe macht, auch nur den Titel unseres Berichtes richtig zu lesen, der sollte vielleicht besser auf vorschnelle Wertungen verzichten. Gerne können wir über unsere Empfehlungen diskutieren, wenn sie dann einmal zur Kenntnis genommen wurden. Aber ich verstehe auch, dass der Deutsche Bauernverband, wie alle Organisationen, natürlich innere Spannungen verarbeiten muss. Damit die Dynamik des Strategischen Dialogs erhalten bleibt, hat Frau von der Leyen übrigens angekündigt, den Vorschlag eines Beratungsforums, das wir als „European Board for Agri-Food“ bezeichnen, aufgreifen zu wollen.
Was soll dieses Beratergremium konkret machen?
Es soll den Prozess der Implementation und der Weiterentwicklung unseres Konzeptes begleiten. Diese, wie ich finde, außerordentlich bemerkenswerte Zusage der Kommissionspräsidentin freut mich sehr.
Als politischer Beobachter in Brüssel lässt sich feststellen, dass der Burgfrieden zwischen den beteiligten Verbänden zumindest vorerst offenbar hält. Im Europaparlament scheint die Bereitschaft für den Moment weniger ausgeprägt zu sein. Könnte die immer noch angespannte Stimmungslage bei der EU-Legislative Ihre Empfehlungen gefährden?
Meine Bewertung wäre: Das muss sich sortieren. Das Parlament befindet sich aktuell noch in der Startphase für die neue Legislaturperiode. Und nicht zuletzt wird es auch auf den Rat und die Positionierung der einzelnen Mitgliedsstaaten ankommen. Die politische Kommentierung ist einstweilen noch zurückhaltend, doch gibt es eine grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Bericht des Strategischen Dialogs, die ich begrüßenswert finde. Bemerkenswert scheint mir auch, dass diejenigen, die die Themen Landwirtschaft und Ernährung vor allem im Rahmen ihres Erregungsunternehmertums bewirtschaften, sich zurückhalten.
Was halten Sie von der um sich greifenden Interpretation, Ihr Bericht würde die Abschaffung der Direktzahlungen je Fläche fordern?
Das steht so jedenfalls nicht drin, es ist aber ein gutes Beispiel für die Verkürzung komplexer Probleme. Eine Einkommenskomponente von Zahlungen ist an verschiedenen Stellen enthalten. Beim Konzept der Zahlungen zur Einkommenssicherung geht es um die Kriterien dafür. Und hierfür geben wir nun mit einem ganzen Katalog von Funktionen eine Richtung vor. Der Strategische Dialog sagt: Es muss einen nachweisbaren Bedarf geben. Und das folgt dem schlichten Prinzip, dass öffentliches Geld nicht für Unbedürftige bereitgestellt werden soll. Zum anderen empfiehlt der Bericht, dass in den Zahlungen für Ökosystemleistungen eine effektive Einkommenskomponente enthalten sein muss.
Meinen Sie die Eco-Schemes? Viele kritisieren an diesem Instrument, dass die Einkommenswirksamkeit fehlt oder zumindest nicht attraktiv genug ist.
Genau deswegen spreche ich eben nicht von Eco-Schemes. Gedacht ist an ein Instrument, das über die Kompensation von Produktivitätsverlusten, die sich aus Ökosystemleistungen ergeben können, hinausgeht. Im Klartext heißt das: Es muss einen kompensatorischen Anteil für die Zusatzkosten von Ökosystemleistungen geben und dazu noch einen Einkommensbestandteil. Wenn dieser Vorschlag umgesetzt wird, ergibt sich ein größerer Einkommensbestandteil, als wenn sie nur die Prämie für die Eco-Schemes bekommen. In jedem Fall würde die GAP also eine Einkommensstützungsfunktion haben. Es soll gerade kein Nullsummenspiel sein, sondern einen wirtschaftlichen Anreiz bieten.
Beschreiben Sie gerade das System der Eco-Schemes plus Top-Up, also in etwa vergleichbar mit den Vorschlägen zur Gemeinwohlprämie?
Das geht in die Richtung. Aus meiner Sicht werden Betriebe, gleich welcher Art, damit bessere Chancen als bisher haben. Es ist klar, welche unerwünschten Nebeneffekte das gegenwärtige System auf Land- und Pachtpreise hat – zum Nachteil der Bauern. Unsere Vorschläge sind also schon so etwas wie ein Paradigmenwechsel. Ich finde es aber nicht richtig zu sagen, der Bericht wolle raus aus den flächengebundenen Direktzahlungen. Dieser Spin beschreibt eben nicht die Leistung des Strategischen Dialogs.
Bei der Vorstellung des Abschlussberichts haben Sie auf die ungleiche Verteilung der Tierhaltung und die daraus resultierenden Folgen wie eine Nährstoffimbalance hingewiesen. Ihr Bericht schlägt Anreize zur Reduktion der Tierzahlen in bestimmten Ballungsgebieten vor. Was genau könnten Sie sich hier vorstellen?
Tatsache ist: Clusterbildungen mit überproportionalen Belastungen für die Umwelt oder Tierseuchenrisiken sind ein Problem und müssen angegangen werden. In den betroffenen Regionen besteht nicht nur das gesamteuropäische Problem zu hoher Treibhausgasemissionen, sondern es kommen die zu hohen Nährstoffüberschüsse noch hinzu. Unser Bericht sagt hier, dass man regionale Lösungsansätze mit den Beteiligten finden muss, die nicht nur monothematisch angegangen werden sollten. Das Ergebnis soll eine sehr viel gleichmäßigere Verteilung der Tierbestände in der Landwirtschaft sein.
Das Problem ist seit langem bekannt, hätten Sie hier konkrete Lösungsmodelle parat?
Wie genau man das machen kann, haben wir als Strategischer Dialog nicht beschrieben. Wir schlagen vor, dass dies regional erarbeitet werden soll. Denn auch das gehört zu den Erkenntnissen und Ergebnissen des Strategischen Dialogs: No size fits all.
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski fordert seit Beginn seiner Amtszeit, dass es mehr Gemischtbetriebe geben soll. Könnte dies aus Sicht der Teilnehmer eine Lösung sein?
Für die gesamte EU trägt das einfach nicht. Es gibt indes ein gewisses Zutrauen in die Praktikabilität von regionalen Vereinbarungen. Ein Beispiel ist der Niedersächsische Weg. Hier haben die Politik, die Umweltverbände und die Agrarverbände in regionalen Zusammenhängen allgemein tragbare Lösungen gesucht und auch gefunden.
Der Report will zudem an der Nachfrage ansetzen und den Fleischkonsum reduzieren.
Hier verknüpft sich jetzt ein umweltpolitisches mit einem ernährungsphysiologischem Argument. Im Hinblick auf meine persönliche Gesundheit kann ich freier sein als bei der Nutzung von Gemeingütern. Es bestehen also schlicht unterschiedliche Freiheitsimplikationen. Meine Freiheit hört auf, wo die Freiheit des anderen beginnt. Zudem ist es wissenschaftlich unbestritten, dass die EU-Bürger insgesamt zu viel Protein konsumieren und darunter wiederum zu viel tierisches. Der Trend eines Rückgangs des Konsums tierischer Proteine ist mittlerweile EU-weit zu beobachten. Dieser Trend muss aus gesundheits- und umweltpolitischen Gründen befördert werden. Das Problem dabei ist, dass dies für die Angebotsseite nicht ohne Folgen bleiben wird. Der daraus resultierende Anpassungsprozess muss öffentlich gefördert werden, da er aus offensichtlichen Gründen im öffentlichen Interesse liegt. Finanziert werden könnten die Umstellungsprozesse innerhalb der Landwirtschaft über den von uns vorgeschlagenen Agri-Just-Transition-Funds. Wie genau diese Reduktion vonstattengeht, kann den regionalen Bedürfnissen angepasst werden.
Der Strategische Dialog hat rund sieben Monate getagt. Können Sie etwas zur Gesprächsatmosphäre sagen? Es ist nicht viel nach draußen gedrungen, aber es soll in Teilen kontrovers zugegangen sein.
Es ist richtig hoch hergegangen, das gehört auch dazu, wenn man gemeinsam an einem Konsens arbeitet. Es hat sich aber im Laufe der Zeit ein Grundvertrauen entwickelt. Meine Überzeugung ist: Die Leute müssen sich in die Augen gucken können. Und wenn sie das können, dann kann in der Sache auch heftig gestritten werden. Es ist gelungen - und es ist eine Leistung aller Beteiligten! - eine Gesprächsatmosphäre und eine Vertrauenskultur aufzubauen, auf deren Grundlage dann ernsthaft und in der Sache hart gefochten werden konnte. Wenn es diese Atmosphäre nicht gegeben hätte, wäre der Dissens nicht durch Streit, sondern durch Austritt behandelt worden. Im letzten Plenum Ende August haben wir in zweieinhalb Tagen insgesamt 38 Stunden zusammengesessen. Jetzt mag man sagen, dass das in Brüssel bei Agrarthemen normal ist. Jedenfalls sind wir alle bei diesem Prozess durchaus auch an unsere Grenze gekommen. Aber anders ist ein konzeptioneller Konsens in einem solchen Format vermutlich auch nicht zu erreichen.
Anders als bei der ZKL hat es vereinzelte Leaks gegeben. Wie bewerten Sie dies?
In der Summe wurden nur sehr vereinzelt veraltete Entwürfe durchgestochen. Ich habe auch Hypothesen dazu, wer das war. Aber insgesamt bin ich tatsächlich sehr zufrieden mit der Gesprächskultur, die da entstanden ist. Aber es ist richtig, dass in der ZKL erstaunlicherweise überhaupt nichts nach außen gedrungen ist.
Worin sehen Sie nach der Präsentation des Abschlussberichts Ihre Rolle?
Mein Vertrag läuft noch ein wenig weiter. Ich werde die Ergebnisse jetzt zeitnah im Europaparlament und im Agrarrat vorstellen. Aber das Mandat ist formal nun erfüllt, und ehrlich gesagt bin ich auch ein bisschen erleichtert darüber.
Sind Sie persönlich mit dem Erreichten zufrieden?
Auch ich bin während der letzten Monate nicht nur einmal an den Rand meiner Kräfte gekommen. Über alle bereichernden Erfahrungen hinaus bleibt aber das sehr gute Gefühl, dass wir alle gemeinsam ein solch bemerkenswertes Ergebnis zu Stande gebracht haben.
Vielen Dank für das Gespräch! AgE