Interview mit Prof. Dirk Messner : „Wir brauchen Debürokratisierung“
„Wir brauchen Debürokratisierung“
Der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Prof. Dirk Messner, über die Transformation der Landwirtschaft, den Betrugsskandal mit chinesischen Klimaschutzzertifikaten und die Forderung der FDP, seine Behörde abzuschaffen
Herr Messner, in einem Gespräch mit AGRA Europe zu Beginn Ihrer Amtszeit sprachen Sie von einem Unbehagen innerhalb der Landwirtschaft gegenüber dem UBA und seiner Arbeit. Überrascht es Sie, dass es dieses Unbehagen immer noch gibt?
Wir erleben eine Klimakrise und eine Biodiversitätskrise. Und da die Landwirtschaft Teil dieser Krise ist, ist ein Strukturwandel in diesem Sektor, wie auch in vielen anderen, angezeigt. Die Landwirtschaft muss ihre Treibhausgasemissionen senken und negative Wirkungen auf die Biodiversität signifikant verringern. Das bedeutet: Anstrengung, Veränderung, und Investitionen. Dass das Unbehagen schafft, verstehe ich gut. Die Landwirtschaft ist aber zugleich auch von den Auswirkungen dieser Krisen betroffen. Ich denke an Dürren, Extremwetterereignisse, geschädigte Wälder. Wichtig ist mir ein gemeinsames Verständnis darüber, dass und in welche Richtung Veränderungsbedarf besteht.
Das Unbehagen scheint zuletzt um sich gegriffen zu haben. Spitzenpolitiker der FDP haben die Abschaffung des UBA zu einem Wahlkampfthema gemacht. Wie ernst nehmen Sie die Forderung Christian Lindners, Ihre Behörde aufzulösen?
In der „ZEIT“ habe ich ein interessantes Interview mit Gerhart Baum gelesen, dem ehemaligen Innenminister der FDP. Der war erstaunt über diesen Vorschlag, denn das Umweltbundesamt wurde ursprünglich von der FDP selbst ins Leben gerufen. Damals ging es darum, Umweltpolitik auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Das ist gelungen. Der Wissenschaftsrat bestätigte dem UBA in einem Gutachten von Mitte 2024 sehr gute Forschungs- und wissenschaftliche Politikberatungsleistungen. Übrigens war der erste für Umweltschutz zuständige Minister, Hans-Dietrich Genscher, ebenfalls von der FDP. Was mir ehrlich gesagt mehr Sorgen macht als Christian Lindner, ist, dass in breiteren Teilen der Bevölkerung alte Stereotype wieder hochkommen.
Was für Stereotype sind das?
Dass Klima- und Umweltschutz „Ideologie“ sei, technologie- und wirtschaftsfeindlich, woke oder per se aktivistisch. Das scheint mir ein Rückschritt zu sein im Vergleich zu der Situation von 2020 und 2021. Damals hat eine konservative Kommissionspräsidentin den Green Deal in Gang gesetzt. Wir hatten das Bundesverfassungsgerichtsurteil für Klimaschutz, demzufolge Klimaschutz Generationenschutz ist. Wir hatten den Report des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der Klimaneutralität als neues Geschäftsmodell festsetzte. Ich war sehr optimistisch gestimmt, dass diese Themen ihren Weg raus aus der Umwelt-Blase und in die Breite der demokratischen Parteien gefunden haben. Ohne Klimaschutz gibt es keine zukunftsfähige Wohlstandssicherung - das war schon einmal eine parteienübergreifende Sichtweise.
FDP-Generalsekretär Marco Buschmann bezeichnet das Umweltbundesamt als „staatlich finanzierte Aktivisteneinrichtung“. Wie erklären Sie sich diese Zuschreibung?
Es fällt mir schwer, das mit der Realität in unserem Haus zusammenzubringen. Die Arbeit des UBA lässt sich in vier Bereiche unterteilen. Wir betreiben Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsforschung. Darauf aufbauend, beraten wir die Bundesregierung und die Europäische Union. Wir setzen Umweltrecht um, zum Beispiel beim Emissionshandel. Und wir informieren die Öffentlichkeit über Umweltrisiken und Lösungsansätze. Ich möchte auch unsere ehemalige Kanzlerin Angela Merkel zitieren. Sie hat beim 25. Geburtstag des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen gesagt: „Gehen Sie uns mit Ihren Problemanalysen und Ihren Lösungsvorschlägen weiter auf die Nerven, sonst ändert sich nichts.“ Und ich bin da näher an Angela Merkel als an Marco Buschmann.
Dennoch heißt es gerade aus der Landwirtschaft, dass das UBA für eine übergriffige Umweltpolitik stehe, die auf Mikrosteuerung setze, anstatt den Landwirten stärker zu vertrauen. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?
Mein Credo ist, so wenig Mikrosteuerung wie möglich und stattdessen auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen setzen. Und deswegen habe ich auch großes Verständnis für die Bürokratiedebatte, die hinter Ihrer Frage steckt. Aus meiner Perspektive haben wir im Augenblick drei Bürokratienarrative, und zwei davon halte ich für nicht hilfreich. Das erste sagt, es gebe gar kein Bürokratieproblem. Von Teilen der Gesellschaft wird das Problem nicht ernst genommen oder gar als propagandistisch betrachtet. Diese Sichtweise teile ich nicht. Das zweite Narrativ ist, Schuld an der Bürokratie hätte vor allem die Umwelt- und Klimapolitik. Der Lösungsvorschlag lautet dann, den Klimaschutz in die Zukunft zu verschieben. Das lehne ich auch ab, denn dieser Ansatz widerspricht unseren Problemanalysen.
Und welche Sicht auf das Bürokratieproblem haben Sie?
Wir brauchen eine signifikante Debürokratisierung, bei gleichzeitig hohen Ambitionen in der Umweltpolitik. Es gibt Handlungsdruck in Bezug auf den Klimaschutz. Die 2020er-Jahre sind klimapolitisch von großer Bedeutung, wenn wir global noch unter der 2-Grad-Leitplanke bleiben wollen. In vielen Bereichen ist der öffentliche Sektor nicht schnell genug, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Chancen liegen in der Digitalisierung, der künstlichen Intelligenz, aber auch darin, Doppelregulierungen und Redundanzen abzubauen. Ich bin ganz bei Prof. Andreas Voßkuhle, dem langjährigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes: Wir müssen die Handlungsfähigkeit des Staates durch Modernisierung verbessern.
Traditionell steht das UBA beim Thema Pflanzenschutz in der Kritik. Der Vorwurf lautet, Ihre Behörde argumentiere einseitig: Zwar würden die Risiken von Pflanzenschutzmitteln unter die Lupe genommen, nicht jedoch deren Nutzen für die Ernährungssicherung. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Zunächst unterstreiche ich vollständig, dass Pflanzenschutzmittel wichtig für die Ernährungssicherung sind. Wir müssen aber eine Balance zwischen den Umweltfolgen und der Ertragsstabilisierung finden. Und daher kommt vermutlich der Vorwurf, wir seien zu einseitig. Die Aufgabe des UBA ist es, in Kooperation mit anderen Behörden alle Aspekte von Pflanzenschutzmitteln zu betrachten. Und das UBA rückt dabei Biodiversitäts- und Umweltfragen ins Zentrum. Wir sind nicht einseitig, sondern wir leisten einen Beitrag zu einer Gesamtbewertung. Mit dem Thünen-Institut und dem Bundesamt für Naturschutz haben wir ein gemeinsames Papier zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln erarbeitet. Darin zeigen wir, wie das möglich ist: durch anspruchsvolle Rahmensetzung und wenig Mikrosteuerung.
Führende Vertreter der Land- und Agrarwirtschaft bekennen sich in der Zukunftskommission Landwirtschaft zu einer Transformation des Agrar- und Ernährungssystems in Richtung Nachhaltigkeit. Wie bewerten Sie die Empfehlungen der ZKL vom Sommer 2021 und vom November 2024?
Die Beschlüsse von 2021 waren ein Durchbruch in der Diskussion zwischen Landwirtschaft, Wissenschaft und Umweltakteuren. Kernpunkt war, dass die Landwirtschaft bei der anstehenden nachhaltigen Transformation finanziell unterstützt werden muss. Das heißt, es sind Investitionen notwendig im Sinne des Grundsatzes „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“. Das 2024er Dokument hat die ursprünglichen Empfehlungen größtenteils bestätigt. Das steht aber in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Bauernprotesten des letzten Jahres. Ich habe jetzt den Eindruck, dass wir eher wieder einen Backlash erleben. Und das besorgt mich.
Natur- und Umweltschutz muss sich für die Betriebe rechnen, lautet eine der ZKL-Grundaussagen. Tragen Sie die mit?
Ich teile das. Wir haben ein marktwirtschaftliches System, und Unternehmen müssen wirtschaften können. Aber es gilt auch, dass wir nationale Wohlstandssicherung nur betreiben können, wenn wir massiv in Klima- und Biodiversitätsschutz investieren. Denn sonst untergraben wir die langfristige Grundlage unseres Wohlstandes. Beide Seiten der Medaille bilden die gesamte Realität ab. Und in der ZKL gibt es viele gute Beispiele für Lösungswege. Leider wurde bei der Umsetzung nicht gut genug vorangekommen.
Wessen Versagen ist das?
Der nächste notwendige Schritt wäre gewesen, drei oder vier entscheidende Handlungsfelder zu bestimmen und von der Beschreibung von Optionen zur Umsetzung zu kommen. Das hat nur selektiv stattgefunden, und der Prozess brach spätestens mit den Bauernprotesten ab.
Erwarten Sie von einer künftigen Bundesregierung, die Empfehlungen der beiden Stakeholder-Runden erneut aufzugreifen?
Das erwarte und hoffe ich. Die Politik muss jetzt zeigen, dass sie handlungswillig ist und an das anknüpfen möchte, was erarbeitet wurde. Wenn man sich wieder auf den Konsens von 2021 zu einer klima- und umweltverträglichen Landwirtschaft besinnt, ist auch die Umsetzung möglich.
Gegen ihre Hoffnung spricht, dass als Folge der Bauernproteste die Gemeinsame Agrarpolitik der EU voraussichtlich wieder deutlich produktions- und einkommensorientierter gestaltet werden wird. An die Direktzahlungen geknüpft Umweltauflagen wurden gestrichen. Wie bewerten Sie das?
In der Tat ist das ein Trend, den ich kritisch beobachte. Wir haben nicht nur in Deutschland einen Backlash, sondern auch in anderen Ländern Europas. Das besorgt mich natürlich, denn was wir bräuchten, wäre, wegzukommen von der Flächenförderung und hin zur Finanzierung von Umweltdienstleistungen, Klimaschutz, Biodiversitätsschutz.
Der Strategische Dialog zur Zukunft der europäischen Landwirtschaft soll die Leitplanken bilden für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2027. Was erwartet der UBA-Präsident von der nächsten GAP-Reform?
Ich hoffe, dass man an den Konsens des Green Deals anknüpfen wird. Nämlich dass in der Landwirtschaft umwelt- und klimapolitischer Handlungsbedarf besteht. Im Strategischen Dialog, der von Prof. Peter Strohschneider geleitet wurde, sind auch zwei wichtige Finanzierungsinstrumente auf der europäischen Ebene genannt worden. Da ist einerseits der Agri-Food Just Transition Fund und zweitens der Nature Restoration Fund. Das ist ein wichtiges Signal, dass die Transformation nicht umsonst ist, sondern die Gesellschaft für eine leistungsfähige Landwirtschaft aufkommen muss, die auch Umwelt- und Klimaschutzbelange berücksichtigt.
Für Aufregung sorgte vergangenes Jahr der sogenannte CO2-Rechner des UBA. Es hieß, Ihre Behörde rechne absichtlich Holzheizungen schlecht. Schädigen Holzheizungen Ihrer Meinung nach das Klima?
Bei der Weiterentwicklung des CO2-Rechners ging es um zwei Nachrichten an die Bürgerinnen und Bürger. Die erste ist ganz einfach: Es ist immer vorzuziehen, Holz stofflich zu nutzen, anstatt es zu verheizen. Denn in Holzprodukten können Treibhausgase langfristig gespeichert werden. Wir haben kein Problem damit, Restholz zu verbrennen. Aber die stoffliche Nutzung und die Verbrennung von Holz sollten nicht gleichgewichtig dargestellt werden. Die zweite Nachricht ist, dass in den letzten Jahren die Wälder von einer Senke zu einer Quelle von Treibhausgasen geworden sind. Das wurde erst vor wenigen Wochen durch die vierte Bundeswaldinventur bestätigt. Die Rechnung, dass Holzverbrennung und der Aufwuchs in den Wäldern ein geschlossener Kreislauf seien, geht nicht mehr auf.
Ihre Behörde musste den Skandal um gefälschte Klimaschutzzertifikate aus China aufarbeiten. Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen?
Es geht dabei um insgesamt 66 Klimavorhaben, sogenannte Upstream-Emission-Reduction-Projekte. Hinter diesen Projekten stehen meist gasfördernde Unternehmen, die Technologien einsetzen, um Treibhausgasemissionen abzusenken. In 45 dieser Projekte wurde die Emissionsreduzierung vermutlich lediglich vorgegaukelt. Dahinter steckt eine starke Hypothese mit vielen Indizien, dass ein „Schattensystem“ aufgebaut wurde. Wir sind im Augenblick dabei, alle diese 45 Fälle zu überprüfen und, wenn die Beweislage greift, rückabzuwickeln. In zehn Fällen wurden Projekte bereits eingestellt. Ich gehe davon aus, dass dies noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Wir sind als UBA betrogen worden, weshalb auch die Staatsanwaltschaft diesen Fall untersucht.
Die deutsche Biokraftstoffbranche hat unter dem UER-Skandal wirtschaftlich gelitten. Tanzen chinesische Firmen den deutschen Behörden auf der Nase herum?
Es ist richtig, dass die Biokraftstoffbranche wirtschaftlichen Schaden davongetragen hat. Deswegen ist es auch so wichtig, unrechtmäßige Projekte zu stoppen. Ob uns chinesische Unternehmen auf der Nase herumtanzen? Die Panama Papers oder der Cum-Ex-Skandal zeigen, dass nicht nur China anfällig für wirtschaftliche Kriminalität ist. Hier sind gute Regulierung und staatliche Kontrolle gefragt. Meine Antwort ist daher eine doppelte. Wir sollten unsere Abhängigkeit von China und anderen autoritären Ökonomien reduzieren. Auf der anderen Seite ist es nicht einfach, in China Prozesse zu monitoren und mit nationalen Behörden zu kooperieren, wenn es zu Krisen kommt, da es kein Rechtshilfeabkommen gibt. Für solche Fälle muss durch diplomatische Noten sichergestellt werden, dass Kontrolle vor Ort möglich ist.
Sind diese Betrügereien nicht desaströs für das Vertrauen in den zertifikatehandelbasierten Klimaschutz?
Ja, das sind sie. Und die Menschen, die die Nachrichten im Vorbeigehen lesen, können auch zwischen UER-Projekten und etwa dem völlig anders strukturierten Europäischen Emissionshandel nicht unterscheiden. Da wird nur gehört: Es geht um internationale Klimakooperation, Zertifikate, Märkte. Deswegen ist es aus unserer Perspektive so wichtig, dass diese UER-Fälle komplett aufgedeckt und aufgearbeitet werden.
Wann wird es so weit sein?
Bis Sommer oder Herbst 2025 sollten wir bei der Aufarbeitung der Täuschungen große Fortschritte gemacht haben.
Vielen Dank für das Gespräch. AgE