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Bei der Zuckerrübensaat 2019 wird erstmalig Saatgut verwendet, das nicht mehr gegen Blattläuse und Moosknopfkäfer geschützt ist. Foto: Matthias Wiedenau
18.04.2019
Umwelt & Verbraucher

Erste Zuckerrübenaussaat ohne Blattlausschutz

Regulierung schafft viele Sorgen für die Landwirtschaft

Viele Jahre haben neonikotinoidhaltige Beizen junge Rübenpflanzen wirkungsvoll gegen Schadinsekten geschützt. Jetzt ist ihr Einsatz in Deutschland verboten. Landwirte fürchten um den Fortbestand des Rübenanbaus. Kritiker verbuchen das Verbot als Erfolg für den Bienenschutz. Ähnliche Beizverbote gibt es bereits seit 2008 im Mais- und seit 2013 im Rapsanbau. Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen?

2019 ist ein besonderes Jahr für die heimischen Zuckerrübenanbauer. Viele Jahre besaßen sie mit neonikotinoidhaltigen Beizen eine wirkungsvolle Versicherung gegen die Grüne Pfirsichblattlaus, die Schwarze Bohnenlaus und den Moosknopfkäfer. Doch jetzt sind Alternativen gefragt. Blattläuse übertragen Viruskrankheiten und verursachen Saugschäden, Moosknopfkäfer fressen an den Keimpflanzen und hinterlassen lückige Bestände. Im April 2018 hatte die Mehrheit der Mitgliedsstaaten dem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt, drei neonikotinoide Wirkstoffe im Freiland zu verbieten. Vorangegangen war eine Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die die Wirkstoffe als Risiko für Wild- und Honigbienen eingestuft hat. Nehmen die Insekten die Wirkstoffe auf, führten sie in geringen Konzentrationen zu einem Orientierungsverlust, in höheren Konzentrationen zum Tod.

Umstrittene EFSA-Bewertung

Die EFSA-Bewertung ist umstritten. Während viele Studien bei ordnungsgemäßer Anwendung von Neonikotinoiden keine Gefahr sehen, bringen andere Untersuchungen die Wirkstoffe mit den immer wieder auftretenden Bienenvölkerverlusten in Verbindung. Die Biene kommt tatsächlich allerdings nicht mit den gebeizten Samen in Kontakt, die in den Boden abgelegt werden. Zudem blüht die Zuckerrübe nicht und wird daher auch nicht zur Pollen- und Nektaraufnahme von Bienen angeflogen. Für viele Landwirte ist die Entscheidung der EU-Kommission daher nicht nachvollziehbar und ein Beispiel dafür, dass wissenschaftliche Fakten nicht mehr zählen.

Flächendeckende statt punktgenauer Behandlungen

Landwirte müssen nun handeln. Die Grüne Pfirsichblattlaus überträgt die Viröse Vergilbung an den Rübenblättern, die bis zu 50 Prozent des Ernteertrags kosten kann. Nach dem Auflaufen werden die Anbauer die ungeschützten Pflanzen regelmäßig kontrollieren. Sobald Läuse zufliegen, müssen sie nun flächendeckend Insektizide ausbringen. Im Gegensatz zur Beize, die nur dort, wo sie benötigt wird, in geringeren Mengen eingesetzt wird. Wenn mehrere Läusewellen zufliegen, sind mehrere Behandlungen erforderlich. Da nur noch wenige verschiedene Insektizide zugelassen sind, besteht zusätzlich die Gefahr der Resistenzentwicklung bei den Blattläusen. Indirekt sind von der EU-Entscheidung auch Öko-Landwirte betroffen. Sie haben bislang „im Windschatten“ der konventionellen Betriebe Rüben angebaut, die mit der Beize die Schädlingspopulation niedrig halten konnten.

Deutsche Landwirte fordern Fairness

Offensichtlich haben bis Ende Februar 2019 13 EU-Mitgliedstaaten die Konsequenzen des Verbots erkannt und mittlerweile sogenannte Notfallzulassungen erteilt. Die Landwirte dürfen dort weiterhin mit Neonikotinoiden behandeltes Saatgut verwenden. In Deutschland gilt das Verbot weiterhin, was für die heimischen Landwirte Kosten sowie Arbeitsaufwand nach oben treibt und eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung darstellt. Sie fordern daher Fairness und gleiche Bedingungen innerhalb der europäischen Landwirtschaft.

Bienenverluste trotz Verbote

Verbote neonikotinoidhaltiger Beizen sind nichts Neues. Sie gelten seit 2008 für Mais- und seit 2013 für Rapssaatgut. Auch in diesen Kulturen waren und sind die Verbote umstritten. Trotzdem kommt es nach wie vor über den Winter zu Bienenverlusten in unterschiedlicher Höhe. Nach Meinung vieler Experten ist dafür die Varroamilbe verantwortlich. Die Konsequenzen für die Rapsanbauer sind allerdings erheblich: Versuche belegen, dass der Ertrag um 5 bis 10 Prozent zurückgegangen ist. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Kleine Kohlfliege praktisch nicht mehr bekämpfbar ist und die Saugschäden verursachenden Blattlauspopulationen deutlich angestiegen sind. Der Rapserdfloh kann jetzt nach Angaben der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e. V. (UFOP) nur mit deutlich intensiverem Insektizid-Einsatz bekämpft werden, Resistenzen häufen sich.

Werkzeugkasten wird kleiner

Ins Kreuzfeuer der Kritik sind die Neonikotinoide im Jahr 2008 geraten. Durch den Abrieb von Beizstaub bei der Maisaussaat ist ein Teil der Wirkstoffe statt in den Boden in die Luft geraten. Das hat ein Bienensterben in der Oberrheinebene ausgelöst. Seit dem Verbot kann der Maiswurzelbohrer nicht mehr chemisch bekämpft werden. Dazu fehlt nun ein Instrument im Werkzeugkasten des Pflanzenschutzes.

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