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Gesunde und vollreife Beeren zeichnen hochwertiges Lesegut aus. Foto: istock
18.10.2018
Umwelt & Verbraucher

Spanische Verhältnisse in den Weinbergen

Interview mit Winzer Marco Becker über Wein, Wetter, Klima und Pflanzenschutz

2018 war vieles anders als in den Vorjahren. So hat Winzer Marco Becker seine Weinberge rund um Mainz bewässert wie noch nie. Aber andererseits gab es keine Probleme mit Pilzkrankheiten. Mehr über die Wechselwirkungen zwischen Wetter, Pflege und Beerenqualität erklärt er im Interview mit dem IVA-Magazin.

Herr Becker, welche Folgen hatte der trockene und heiße Sommer für Ihre Rebflächen?

Trotz der extremen Witterung stimmte der Ertrag unter dem Strich. Es gab allerdings große Unterschiede. Typisch für dieses Jahr waren nämlich die oft lokal begrenzten Niederschlagsereignisse. Unsere Weinberge liegen bis zu 20 Kilometer auseinander. Einige haben noch so gerade ausreichend Regen abbekommen, andere nicht. Vor allem junge Rebstöcke mussten wir bewässern; 300 000 Liter Wasser haben wir mit Fässern in die Weinberge gebracht, so viel wie noch nie zuvor. Ältere Rebstöcke mit einem voll ausgebildeten Wurzelnetz auf humusreichen Böden sind da unempfindlicher. Wegen der Trockenheit mussten wir auch Eisen über das Blatt düngen, weil die Pflanzen aus dem Boden nichts mehr aufnehmen konnten. Der hohe Aufwand hat sich aber gelohnt: Die Qualität des Leseguts war sehr gut.

Was zeichnet denn hochwertiges Lesegut aus?

Kurz gesagt sind es gesunde und vollreife Beeren. Nur aus einem optimalen Lesegut kann der Kellermeister einen Spitzenwein machen. Aufgrund der Trockenheit gab es kaum Probleme mit Pilzkrankheiten. Zudem sind die Beeren relativ klein geblieben und dadurch weniger anfällig für Fäulnis. Viele Sonnenstunden und hohe Temperaturen haben bei uns in Rheinhessen für spanische Verhältnisse gesorgt. So unter anderem für hohe Mostgewichte und Alkoholgehalte. Gewinner sind die Rotweine. Eine weitere Folge sind die relativ geringen Säuregehalte, die allerdings wichtig für einen ausgewogenen Geschmack der Weine sind.

Viele Wissenschaftler reden vom Klimawandel – treten die „spanischen Verhältnisse“ nach Ihrer Einschätzung in letzter Zeit häufiger ein?

Ja. Bis etwa Mitte der 1990er Jahre war der Oechslegrad im Lesegut das bestimmende Thema. Aus dem natürlichen Zucker entsteht während der Gärung Alkohol, der den Wein haltbar macht und ihm Geschmack gibt. Seitdem erleben wir immer häufiger sonnige und warme Jahre, sodass wir mit den Oechslegraden im Normalfall keine Probleme mehr haben. Rieslingreben werden nun in den meisten Jahren vollreif. Früher war dies nur in den Spitzenlagen möglich. Wir beobachten auch, dass der Laubaustrieb im Frühjahr bis zu drei Wochen früher einsetzt als noch vor 20 Jahren. Die früh entwickelten Kulturen werden allerdings stärker durch Spätfröste gefährdet.

2016 waren die Bedingungen ganz anders als in diesem Jahr. Es war bis in den Sommer hinein kühl und nass.

Solche Jahre kommen immer wieder mal vor. 2016 haben wir viel in den Pflanzenschutz investiert. Hauptkrankheiten waren Oidium und Peronospora, also Echter und Falscher Rebenmehltau. Mit regelmäßigen vorbeugenden Anwendungen, die nach dem Infektionsbeginn starteten, haben wir die Pilzkrankheiten aber im Griff behalten. Weil die ökologisch wirtschaftenden Betriebe über keine so leistungsstarken Mittel verfügen, mussten sie ihre Flächen bis zu 20 Mal mit Schwefel- und Kupferpräparaten behandeln. Was ganz ohne Pflanzenschutzmittel passiert wäre, war auf einer Demo-Fläche unseres Weinguts im Rahmen der Mitmach-Aktion "Schau ins Feld!" zu sehen. Dort gab es einen Totalausfall.

Könnten Sie nicht vorbeugend widerstandsfähige Rebsorten anbauen und damit den Pflanzenschutz-Aufwand reduzieren?

Das wäre prinzipiell möglich. Allerdings haben die momentan verfügbaren Sorten einen leichten Beigeschmack. Der kann in Zukunft aber sicher noch weggezüchtet werden. Bleibt nur noch das Akzeptanzproblem des Weintrinkers. Bislang greift er nämlich lieber zu einem bewährten Riesling oder Grauburgunder als zu einem unbekannten Regent oder Saphira.

In Ihrem Heimatort Ebersheim wird nachweislich seit 764 Wein angebaut. Wie hat man damals Krankheiten kontrolliert?

Das Problem hat sich in der Anfangszeit des Anbaus noch nicht gestellt – die Erträge betrugen nur etwa 20 Prozent der heutigen Erträge. Krankheiten wie Peronospora oder die Reblaus gab es hier in der Region noch nicht. Sie sind Ende des 19. Jahrhunderts aus Amerika eingeschleppt worden. Ein weiteres Beispiel für einen sogenannten invasiven Schaderreger ist die Kirschessigfliege. Sie ist 2008 aus Asien nach Europa gekommen und verursacht seit 2012 großflächige Schäden in unseren Weinbergen. Auch in Zukunft werden wir zum Schutz unserer Kulturen immer wieder neue Herausforderungen bewältigen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Becker.

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