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Rübenbestand mit starkem Stolbur-Befall. An nahezu jeder Rübenwurzel befinden sich die typischen Nymphen und watteartige Eiablagen. Foto: Strube
10.05.2024
Forschung & Technik

„Gummirüben“: Ratlosigkeit bei neuer Krankheit

Regional erzeugter Zucker könnte knapper werden

Im Herbst 2023 waren wie aus dem Nichts plötzlich verschrumpelte, gummiartige Rüben auf Äckern im Südwesten Deutschlands zu finden. Erreger und Überträger sind bekannt, nicht jedoch, wie ihnen kurzfristig beizukommen ist. Experten sehen in der Stolbur-Krankheit eine ernstzunehmende Gefahr für die Zucker-Erzeugung in Deutschland.

In Südeuropa bereits bekannt

Im Spätsommer und Herbst 2023 wurden zahlreiche Zuckerrübenanbauer in den wärmebegünstigten Weinbaulagen im Südwesten Deutschlands durch einen ungewohnten Anblick überrascht. Zunächst waren einzelne verschrumpelte, gummiartige und leicht aus dem Boden ziehbare Rübenkörper mit welken, gelben Blättern zu finden. Nach und nach breitete sich das Schadbild über ganze Parzellen aus.

Schnell stellte sich heraus, dass es sich um die Stolbur handelt. Diese Krankheit war bislang nur in den Anbaugebieten Süd- und Südosteuropas bekannt. Sie hat nun vielen Landwirten in Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und milden Standorten Ostdeutschlands hohe Einbußen bei Erträgen und Wirtschaftlichkeit beschert.

Überträger ist die Schilf-Glasflügelzikade

Die Ursache für die Krankheit ist das Phytoplasma Candidatus Phytoplasma solani. Ein Phytoplasma ist ein zellwandloses Bakterium. Der Namensteil solani gibt einen Hinweis darauf, dass das Phytoplasma auch Kartoffeln befällt und „Gummiknollen“ verursacht. Ebenso betroffen sind Reben, bei denen es Schwarzholzigkeit auslöst. Überträger der Bakterien sind wärmeliebende Schilf-Glasflügelzikaden, die offensichtlich neben Schilf nun Zuckerrübenäcker als neuen Lebensraum entdeckt haben. Der Zuflug beginnt in den Monaten Mai und Juni. Mit jedem Saugvorgang an den Blättern gibt die infizierte Zikade Bakterien ab. Außerdem legt sie infizierte Eier an den Rüben ab. Die sich daraus entwickelnden Nymphen ernähren sich von den Rüben. Als Nymphen bezeichnet man die Jugendstadien von Insekten, die im Gegensatz zu Larven bereits Ähnlichkeit mit den adulten Tieren haben. Aus den Nymphen entwickeln sich im Folgejahr wieder Zikaden, womit der Entwicklungszyklus von Neuem beginnt.

Ungewöhnlich schnelle Verbreitung

Im trockenen Spätsommer 2023 sind die sogenannten „Gummirüben“ erstmals aufgefallen. Experten schätzen, dass deutschlandweit rund 10 000 Hektar Zuckerrüben stark betroffen und weitere 40 000 Hektar beeinträchtigt waren. Angesichts einer Gesamtanbaufläche von 392 000 Hektar (Quelle: BMEL) wird die Sorge bei Anbauern und Verarbeitern nachvollziehbar. Neben den vom Befallsgrad abhängigen Ertragsverlusten kommt ein weiteres Problem hinzu: Die Rüben sind nicht lagerfähig. Geerntete Rüben müssen möglichst umgehend in der Zuckerfabrik verarbeitet werden, sonst faulen sie innerhalb kürzester Zeit ausgehend von den Wurzelspitzen. Zudem behindern größere Mengen an Gummirüben den Verarbeitungsprozess in den Werken.

Das alles treibt Anbauern und Verarbeitern Sorgenfalten auf die Stirn, zumal der Klimawandel die Zikadenart weiter nach Norden wandern lässt. Es wird mit einer Wanderungsgeschwindigkeit von bis zu 30 Kilometer pro Jahr gerechnet. Es ist also kein Wunder, dass Unternehmen, Verbände und Forschungseinrichtungen mit Hochdruck an Lösungen arbeiten.

Noch keine Gegenmaßnahmen in Sicht

Bislang gibt es noch keine sicheren Gegenmaßnahmen. Wenn unmittelbar nach der Zuckerrübenernte kein Winterweizen auf den betroffenen und den angrenzenden Flächen eingesät würde, könnte das die Entwicklung bremsen. Denn das Getreide bietet den Nymphen gute Überlebensbedingungen, es ist eine grüne Brücke für die Zikaden. Große Hoffnung setzen die Betroffenen in neue Zuckerrübensorten, die das Bakterium tolerieren und ohne Ertragsverlust reagieren. Doch die Züchtung neuer Sorten nimmt mit konventionellen Methoden rund zehn Jahre in Anspruch. Bis dahin kann der Zuckerrübenanbau viel von seiner Wirtschaftlichkeit eingebüßt haben.

Für eine chemische Bekämpfung der Zikaden gibt es derzeit keine geeigneten Insektizide. Möglicherweise können aber die Nymphen durch eine Saatgutbeizung des nachfolgenden Weizens unschädlich gemacht werden. Außerdem gibt es Ansätze mit natürlichen Gegenspielern wie Nematoden, Bakterien, Pilze oder Viren. Doch auch hier ist man noch im Versuchsstadium.

Wird regional erzeugter Zucker knapp?

Momentan hat lediglich die Witterung einen gesicherten Einfluss auf die Krankheitssituation. Anhaltender Frost setzt den im Boden überwinternden Nymphen zu. Nasskaltes Wetter bremst den Entwicklungszyklus der Zikaden. Außerdem hat man im Herbst 2023 die Erfahrung gesammelt, dass sich die befallenen Rüben regenerieren können. Und zwar dort, wo nach dem trockenen Spätsommer ergiebige Niederschläge fielen. Doch auf das Wetter kann man sich leider nicht verlassen, zumal der Klimawandel die Schilf-Glasflügelzikaden tendenziell fördern wird. Für die Zukunft des Rübenanbaus und die Versorgung der Bevölkerung mit regional erzeugtem Zucker müssen möglichst schnell zuverlässige Lösungen her.

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