reifungsfrass.jpg
Reifungsfraß der Käfer an Eiche. Quelle: NW-FVA,Göttingen
08.04.2010
Umwelt & Verbraucher

Waldmaikäfer bedrohen Südhessens Wälder

Der massive Wurzelfraß der letzten drei Jahre gefährdet die Laubwälder im hessischen Ried

Der Waldmaikäfer (Melolontha hippocastani) ist ein überaus gefräßiges und deshalb auch seit Jahrhunderten gefürchtetes Insekt. In diesem Jahr droht dem Hessischen Ried ein Luftangriff der Waldmaikäfer in bisher ungekanntem Ausmaß. „Die Befallsdichte und Vitalität der Population sind sehr hoch. Das bereitet uns Förstern Sorge um die Walderhaltung im Ballungsraum zwischen Lampertheim und Darmstadt“, sagt Dr. Horst Gossenauer-Marohn, Waldschutzexperte in der Landesbetriebsleitung Hessen-Forst in Kassel.

Bereits in den vergangenen drei Jahren trieb der Waldmaikäfer sein Unwesen unter der Erde. Die Engerlinge nagten an den Fein- und Grobwurzeln der Bäume. Diese Fraßschäden sind für die Bäume deutlich folgenschwerer als die Fraßschäden am Blattwerk im vierten oder fünften Jahr der Maikäfer-Entwicklung. Wenn das Wurzelwerk geschädigt ist, sind die Bäume nicht mehr in der Lage, Wasser und Nährstoffe aufzunehmen. „Örtlich sterben uns schon 80-jährige Bäume ab, weil sie kaum noch Wurzelmasse aufweisen“, erklärt Marohn. Im letzten Spätsommer haben sich die gefräßigen Engerlinge verpuppt und in Käfer verwandelt. Die frisch geschlüpften Insekten haben in frostgeschützten Bodenschichten überwintert und werden etwa ab Ende April ausfliegen. Das heißt: Sie fallen invasionsartig über fast alle Laubbäume her. Experten sprechen von Reifungsfraß.

Direkte Gefahr auch für den Menschen

Die Maikäfer starten in der Dämmerung zu ihrem Schwärm- oder Hochzeitsflug. In dieser Phase können die Käfer auch für den Menschen zur Gefahr werden. Schon 2006 mussten Autobahnen kurzfristig gesperrt werden, weil tief fliegende Käferschwärme die Sicht derart behinderten, dass Unfallgefahr bestand. Nach vier bis sechs Wochen legen die Weibchen zwei- bis dreimal jeweils 20 bis 30 befruchtete Eier im Boden ab. Danach sterben die Maikäfer. Etwa sechs Wochen später schlüpfen die Larven, und der Zyklus beginnt von vorne.

Waldbestand in seiner Struktur gefährdet

Seit 1982 baut sich so die Population der Waldmaikäfer kontinuierlich auf. Auch Dr. Gossenauer-Marohn vermag nicht zu sagen, wann der Höhepunkt erreicht sein wird. Eines jedoch ist sicher: Der Waldbestand ist in seiner jetzigen Struktur gefährdet. „Die Waldstruktur wird sich verändern. Wir kommen insgesamt zu einer Verlichtung des Baumbestandes. Ich kenne Eichenkulturen, die bereits drei Mal gepflanzt wurden. Letztlich hat man aber nur Engerlinge gefüttert“, berichtet er.

Den Engerlingen auf der Spur

Seit 2009 sollen umfangreiche Probegrabungen Einblicke in die Ausbreitung und Entwicklung der Engerlinge ermöglichen. „Wir haben die Stellen in einem Raster von 500 Metern genau eingemessen und über 5 000 Grabungen gemacht“, so Dr. Gossenauer-Marohn. Dabei stellte sich heraus, dass die Engerlinge den Winter bestens überstehen. „Natürlich registrierten wir Klumpungseffekte. Vor allem im lockeren Sandboden fanden wir bis zu 100 Engerlinge je Quadratmeter, im Durchschnitt neun“, erklärte der Fachmann. Die kritische Dichte für Schäden liegt bei nur zwei bis drei Engerlingen.

Der Wald als Freilandlaboratorium

„Wir haben uns alle Engerlinge genau angesehen und ermittelt, ob daraus wirklich ein Waldmaikäfer oder eine andere Art wird. Für die Baumwurzel spielt es aber letztendlich keine Rolle, von welcher Engerlingsart sie gefressen wird“, betont der Forst-Experte. Für ihn ist die seit nunmehr 28 Jahren andauernde Massenvermehrung auch „ein großes Freilandlaboratorium“, in dem man nicht nur die weitere Ausbreitung des Waldmaikäfers beobachten, sondern auch Szenarien für die weitere Waldentwicklung skizzieren kann.

Die Gesellschaft und die Waldeigentümer müssen sich fragen, welche Funktionen sie zukünftig von ihrem Wald erwarten. „Sofern wir den Wald im hessischen Ried, so wie er heute ist, als Naherholungsgebiet, Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als Trinkwasserreservoir erhalten wollen, müssen wir aktiv Maßnahmen ergreifen. Wenn wir es beispielsweise zulassen, dass die Eiche mittelfristig verschwindet, verändert sich auch die Zusammensetzung der Waldgebiete im hessischen Ried.“ Um dem Wald wertvolle Zeit zur Stabilisierung zu verschaffen, wünscht sich der Forstexperte eine aktive Eindämmung der erneuten Eiablage durch die Maikäfer-Weibchen. Die Stadt Pfungstadt hat am 15. März beschlossen, dies ab einem Durchschnittswert von 20 und bei Spitzenwerten von bis zu 76 Engerlingen pro Quadratmeter in Teilen ihres Waldes zu versuchen.