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Dr. Christoph Schmitz hat das Bildungsprogramm GemüseAckerdemie entwickelt und mit Mitstreitern 2014 den Verein Ackerdemia gegründet. Foto: Ackerdemia e. V.
11.02.2020
Schule & Wissen

Wie wächst mein Essen?

Ackerdemia bringt Landwirtschaft in Klassenzimmer

„iiiiih, das esse ich nicht!“ Wer hat dieses vernichtende Urteil nicht schon von Kindern angesichts vermeintlich verdächtiger Gemüsearten auf dem Teller vernommen. Oft beruht es auf Unkenntnis. Doch das muss nicht sein, wie das Start-up „Ackerdemia“ zeigt.

Wer einen Garten hat, kann dort mit seinen Kindern die aufregende Welt der Pflanzen und des Bodens erforschen. Viele Kinder – und spätere Erwachsene – erleben aber nie, wie faszinierend es ist, mit den Händen in der Erde zu wühlen, Regenwürmer bei der Arbeit zu beobachten, Samen zu säen und später die Früchte der eigenen Arbeit ernten und kosten zu können! Das ist nicht nur schade für die Kinder, wenn sie diese Erfahrung nicht machen. Ihnen entgeht viel mehr: Wer nicht weiß, wie Lebensmittel entstehen, weiß sie nicht zu schätzen. Wahrscheinlich weiß er auch nichts darüber, was gesund ist und was nicht. Und sicher weiß er auch jene nicht zu schätzen, die Lebensmittel erzeugen.

Für eine Generation, die weiß, was sie isst

Diese Wissenslücken zu schließen hat sich der Verein Ackerdemia e. V. auf die Fahnen geschrieben. 2014 war er von Dr. Christoph Schmitz ins Leben gerufen worden, der gerade seine Doktorarbeit zum Thema „Entfremdung der Gesellschaft von der landwirtschaftlichen Primärproduktion“ beendet hatte. Schockiert von seinen eigenen Untersuchungsergebnissen, entwickelte Landwirtssohn Schmitz das Bildungsprogramm „GemüseAckerdemie“. Ein interdisziplinäres Team aus Pädagogen, Landwirten, Biologen, Designern und IT-Spezialisten vervollständigt seitdem Schmitz‘ Vision: Kinder hautnah erleben zu lassen, wie ihr Essen entsteht. Das bedeutet nicht nur, mit ihnen gemeinsam Gemüse zu säen, es wachsen zu lassen und schließlich zu ernten. Es bedeutet auch, ihnen vor und während dieser Zeit spielerisch Wissen zu vermitteln über Herkunft, Anbau und Verarbeitung von Lebensmitteln. Dafür wurden drei Programme entwickelt:

  • AckerKita: Ein ganzjähriges Programm, bei dem Kita-Kinder auf eigenem „Acker“ Gemüse anbauen
  • AckerSchule: ein ganzjähriges Programm für Schulkinder
  • GemüseKlasse: Ein 20-wöchiges Indoor-Programm, in dem Schüler direkt im Klassenzimmer Gemüse heranziehen

Das Projekt ging auf wie Samen nach einem warmen Frühlingsregen: 2019, nur vier Jahre nach dem Start, hat Ackerdemia mit über 21 000 Kindern in Deutschland, Österreich und der Schweiz an 475 sogenannten Lernorten auf 3,5 Hektar Acker nicht weniger als 273 Gemüsesorten wachsen lassen.

Ackern und mehr

Wie wird man aber nun AckerSchule? Meist bewirbt sich ein engagierter Pädagoge mit seinen Schützlingen. Wichtig für den Erfolg des Programms ist, einen möglichst nahegelegenen Ort für den „Acker“ zu finden, weiß Gründer Schmitz. „Das Wichtigste ist der kurze Weg. Kinder sollen nicht mit dem Bus zum Acker fahren müssen“. Oft klappt das, nur manchmal behilft man sich mit Hochbeeten. Schmitz erklärt, wie es weitergeht: „Im Februar fängt das Ackerjahr an, meist mit der Anlage des neuen Ackers. Die Kinder lernen die Grundlagen: Welches Gemüse wächst bei uns, was bedeutet Bodenfruchtbarkeit, warum ist Gemüse wichtig für uns? Im April kommen wir mit vier bis fünf Mitarbeitern und machen mit den Kindern gemeinsam die Pflanzung. Zwei weitere Pflanztermine – einmal nach den Eisheiligen und einer nach den Sommerferien – werden auch von uns betreut“.

Den begleitenden Unterricht führen die Pädagogen vor Ort in Eigenregie durch, eng betreut von lokalen Regionalmanagern, die wiederum in der Vegetationszeit von auf Honorarbasis tätigen „Ackerhelfern“ und „AckerCoaches“ unterstützt werden. Die Pädagogen erhalten Fortbildungen und Material; per Newsletter, Lernplattform und Webinar werden alle auftauchenden Fragen beantwortet. Ab der ersten Pflanzung verbringen sie dann mit den Kindern eine Doppelstunde pro Woche draußen. Das kann im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft passieren oder in den Schulunterricht integriert werden. Dafür kommen mehr Fächer infrage, als man im ersten Moment denken möchte. Es gab sogar schon einen Religionslehrer, der mit seiner Klasse am Programm teilgenommen und kurzerhand seinen Unterricht nach draußen verlegt hat. Die Kinder wissen das zu schätzen, wie dieser Schüler deutlich macht: „Wieso machen wir eigentlich in der Schule von den schönen Sachen (ackern) so wenig und von den blöden so viel?“ Ab Oktober, wenn die Früchte der Arbeit geerntet und verzehrt sind, ist Zeit für einen Blick über den Ackerrand hinaus: Nun erarbeiten sich die Kinder Themen wie Lebensmittelverschwendung oder Sortenvielfalt.

Ackern geht in jedem Alter

Um das stetig wachsende Interesse – neben Kitas und Schulen gibt es inzwischen auch Gemüsegärten an einer Uni und in mehreren Firmen – befriedigen zu können, arbeiten in den beiden Niederlassungen in Berlin-Schöneberg und in Potsdam inzwischen über 70 Mitarbeiter. In Forschungskooperationen mit Hochschulen und Universitäten werden die Programme fachlich und pädagogisch weiterentwickelt. Wie erfolgreich der unkonventionelle Ansatz des Vereins ist, hat inzwischen auch die Bundesregierung erkannt. 2019 hat Ackerdemia den Preis des Bundeslandwirtschaftsministeriums „Zu gut für die Tonne“ gewonnen. Sicherlich spornt auch dieser Erfolg Christoph Schmitz und seine Mitstreiter weiter an. Damit künftig der Ausruf: „iiiiih, das esse ich nicht“ gegenüber vermeintlich verdächtigem Gemüse auf dem Teller seltener zu hören ist.

Quelle: ackerdemia.de

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