„Amikäfer“ Karl Kahlfraß und sein Lieschen – Kartoffelschädlinge im Kalten Krieg im geteilten Deutschland
Fast könnte er einem leidtun, der schwarz-gelb gestreifte Kartoffelkäfer. Im Laufe der Geschichte wurde er immer wieder für böse Absichten – von welchem Feind auch immer – verantwortlich gemacht. Dabei ist er doch eigentlich ganz hübsch anzusehen, der kleine Leptinotarsa decemlineata, was übersetzt Zehnstreifen-Läufer bedeutet. Er hat sich aber in den letzten 200 Jahren eher unbeliebt gemacht bei den Menschen, deren Kartoffelfelder er befiel. Der schwarz-gelb gestreifte Kartoffelschädling kann nämlich ganze Kartoffeläcker kahl fressen. Die entlaubten Pflanzen können ohne ihre Blätter nicht mehr assimilieren, also atmen und Nährstoffe einlagern. Infolgedessen können sie auch keine Knollen mehr ausbilden, sodass die Landwirte kaum noch Erträge haben. Missernten sind die Folge.
Blinder Passagier von Colorado nach Europa an Bord
Der Kartoffelkäfer gehört zur Familie der Blattkäfer und ist ein Neozoon, also ein Tier, das von seiner eigentlichen Heimat in andere Regionen eingeschleppt wurde und dort heimisch geworden ist. Er stammt ursprünglich aus dem amerikanischen Bundesstaat Colorado, daher auch der amerikanische Name Colorado beetle. Von dort gelangte er Ende des 19. Jahrhunderts mit Schiffstransporten nach Europa. Schon für 1877 sind erste Funde aus den Häfen in Liverpool, Rotterdam und Mühlheim am Rhein belegt. Da er in Europa keine natürlichen Fressfeinde hatte, breitete er sich rasch Richtung Osten aus. In seiner amerikanischen Heimat ernährte sich der Kartoffelkäfer zunächst polyphag, nutzte also viele verschiedene Pflanzen aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) wie zum Beispiel die Büffelklette (Solanum rostratum). In Europa angekommen, wurde er wählerisch, verschmähte andere Nachtschattengewächse und stürzte sich auf die Kartoffel. Dies hatte verheerende Folgen für die rasch wachsende Bevölkerung in Stadt und Land.
Der Auslandsschädling der Franzosen, der Deutschen, der Briten und der Amerikaner
Während des ersten Weltkriegs sprachen die Deutschen vom „Franzosenkäfer“, dachten sie doch, dass Frankreich mit der gezielten Vermehrung des Schädlings die Lebensmittelversorgung im Deutschen Reich gefährden wolle. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Kartoffelkäfer-Fibel vom Kartoffelkäfer-Abwehrdienst des Reichsnährstandes an die Schulkinder verteilt. Während des Zweiten Weltkriegs beschuldigten sich Großbritannien und Deutschland gegenseitig, Kartoffelkäfer über dem feindlichen Gebiet abzuwerfen und auch Frankreich forschte über den Kartoffelschädling. Dass englische Flugzeuge Kartoffelkäfer über Deutschland abgeworfen haben, konnte bis heute nicht bewiesen werden. Dagegen ist belegt, dass die deutsche Wehrmacht 1943 Kartoffelkäfer züchtete und 14 000 Stück bei Speyer über der Pfalz abwarf, um zu überprüfen, ob sie den Fall aus 8 000 Meter Höhe überstehen. Sie taten es. Gegen England kam diese biologische Waffe aus verschiedenen Gründen allerdings nicht mehr zum Einsatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ab 1950 in der DDR gezielt das Gerücht gestreut, dass die Amerikaner extra dafür gezüchtete Kartoffelkäfer – die Amikäfer ‑ über der DDR abwerfen, um die sozialistische Landwirtschaft zu schwächen und die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu gefährden. Mit dieser Geschichte sollte die Angst vor den Amerikanern im Kalten Krieg geschürt werden. Obwohl das DDR-Landwirtschaftsministerium längst wusste, dass es keine Abwürfe aus Käferbombern gab, blieb die Regierung noch lange bei der Legende vom amerikanischen „Karl Kahlfraß und seinem Lieschen“, wofür es aber in den inzwischen geöffneten CIA-Archiven keine Belege gibt.
Bekämpfung früher…
In 250 Jahren Anbau hat die Kartoffel die Ernährungsgewohnheiten in der alten Welt verändert, ihr bedeutendster Schädling, der Kartoffelkäfer, hat 100 Jahre gebraucht, um in Europa große Schäden im Kartoffelanbau anzurichten. In Deutschland haben die Erfahrungen aus der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs unter anderem dazu geführt, dass der Reichsnährstand den Kartoffelkäferabwehrdienst gründete. In organisierten Suchtrupps sammelten die Menschen, oft auch Schulkinder, die Käfer von den Blättern der Kartoffelpflanzen, ertränkten sie in einer Dose mit Petroleum oder Altöl, zündeten sie an oder warfen sie den Hühnern zum Fraß vor. Das Absammeln blieb lange Zeit die einzige Möglichkeit, den Käfer zu bekämpfen. Später wurden zur Bodenentseuchung anfänglich Kalkarsen und Schwefelkohlenstoff eingesetzt. In den 50er Jahren kamen chemische Pflanzenschutzmittel auf Basis chlorierter cyclischer Kohlenwasserstoffverbindungen, wie DDT oder Lindan zum Einsatz.
Kindheitserinnerungen aus der Nachkriegszeit (pdf)
…. und heute
In den 1970er Jahren kamen die synthetischen Pyrethroide auf, Nachbildungen des natürlichen Insektengiftes der Chrysanthemen, die wesentlich verträglicher für die Nicht-Zielorganismen sind. Seit einigen Jahren schmälern zunehmende Resistenzen die Bekämpfungserfolge. Milde Winter erleichtern dem Kartoffelkäfer das Überleben. Die längeren Vegetationsperioden erlauben dem Käfer im Laufe eines Sommers zwei Generationen hervorzubringen, was die Käferpopulation wachsen lässt. Im ökologischen Landbau werden Pflanzenschutzmittel mit den Wirkstoffen des tropischen Neembaums und Bakterienpräparate aus Bacillus thuringensis oder das von den Aktinomyzeten stammende Spinosad erforscht. Grundlage einer jeden Behandlung aber ist und bleibt die sorgfältige Beobachtung und Prognose. Es bleibt also auch zukünftig eine große Herausforderung an die Pflanzenschutz-Wissenschaft, geeignete Wirkstoffe, Darreichungsformen und Verfahrenstechniken gegen den Kartoffelkäfer zu entwickeln.
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