Bild2.jpg
Schadinsekten wie die Schilf-Glasflügelzikade verursachen große wirtschaftliche Schäden in der Landwirtschaft. Mit dem Wirtswechsel von Schilf auf Zuckerrüben und Kartoffeln hat sie sich von einer seltenen Art zu einem Super-Vektor für die Landwirtschaft und den Gartenbau entwickelt. Foto: GFPi e. V.
22.05.2025
Forschung & Technik

Insektentolerante Pflanzensorten als Lösung im Ackerbau

Eine Herausforderung für die Pflanzenzüchtung

„Schadinsekten verursachen große wirtschaftliche Schäden in Landwirtschaft und Gartenbau. Ein aktuelles Beispiel ist die rasante Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade in Deutschland. Sie führt bei Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüsearten zu erheblichen Ertragsverlusten und ist eine Gefahr für die betroffenen Wertschöpfungsketten. Für eine resiliente und klimaangepasste Pflanzenproduktion brauchen wir neue Pflanzensorten, die tolerant gegen Insekten und die von ihnen übertragenen Krankheiten und Viren sind“, sagt Stefan Lütke Entrup, Geschäftsführer der Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation e. V. (GFPi). Das IVA-Magazin sprach mit ihm über den derzeitigen Stand und die Perspektiven der Forschung und Pflanzenzüchtung für insektentolerante Pflanzen.

Herr Lütke Entrup, skizzieren Sie doch bitte einmal kurz die Problemlage, warum wir insektentolerante Pflanzen brauchen.

Der Klimawandel und die reduzierte Verfügbarkeit insektizider Wirkstoffe führen zu großen Ertrags- und Qualitätsverlusten bei landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Kulturen durch Schadinsekten. Neben den direkten Schäden schaffen die Verwundungen an Blättern und Stängeln durch die Insekten Eintrittspforten für Sekundärinfektionen, etwa durch Bakterien. Die Insekten treten zudem als Vektoren, also Überträger für Krankheitserreger, wie zum Beispiel Viren, auf. Seit ein paar Jahren finden vermehrt auch invasive Arten (Neozoen), die bisher in Mittel- und Nordeuropa nicht beheimatet waren, dauerhaft günstige Lebensbedingungen bei uns und bedrohen so ebenfalls den Anbau unserer Kulturpflanzen, da die „neuen“ Schädlinge oft noch keine natürlichen Gegenspieler haben.

Wie stellt sich die Situation im Pflanzenschutz dar?

Es entsteht derzeit eine Bekämpfungslücke im chemischen Pflanzenschutz aufgrund der Reduktion an zugelassenen Wirkstoffen und Anwendungsbeschränkungen insbesondere bei hochwirksamen Beizen. Die Zielorganismen verlieren ihre Sensitivität und die Gefahr der Resistenzbildung gegenüber einzelnen Wirkstoffen nimmt zu. In verschiedenen Insektengruppen haben sich bereits Resistenzen gegen die noch verfügbaren Wirkstoffe entwickelt, sodass in einigen Regionen für bestimmte Schädlings-Kultur-Kombinationen keine wirksame Bekämpfung mehr möglich ist. Angesichts dieses Rückgangs verfügbarer insektizider Wirkstoffe müssen daher alternative Maßnahmen des Integrierten Pflanzenschutzes wie Feldhygienemaßnahmen, Kulturtechniken, ackerbauliche Methoden und eben auch die Züchtung und der Einsatz toleranter beziehungsweise resistenter Sorten künftig weitergetrieben und verstärkt werden.

Das ist aber sicherlich kein leichtes Unterfangen für die Pflanzenzüchtung?

Es ist auf jeden Fall ein langwieriger Prozess von mindestens einem Jahrzehnt, entsprechende Resistenzen/Toleranzen züchterisch auf die jeweilige Kulturpflanze und letztlich in Elitesorten zu übertragen. Doch die Resistenz gegen Insekten beziehungsweise gegen die durch sie übertragenen Krankheitserreger ist eine wesentliche Grundlage für zukünftige leistungsfähige Sorten mit hohen Erträgen unter den sich verändernden Produktionsbedingungen. Das Problem: Sowohl die Toleranz als auch die Resistenz von Pflanzen gegenüber Schadinsekten beruhen häufig auf der Ausprägung komplexer Pflanzeneigenschaften und Interaktionen zwischen Pflanze und Insekt. In der Regel handelt es sich nicht um einfach vererbte Merkmale, sondern es sind viele Gene beteiligt, weswegen große Populationen analysiert werden müssen. Hinzu kommt, dass zur Identifikation von resistenten/toleranten Genotypen häufig pflanzengenetische Ressourcen, das heißt Landsorten und Wildformen oder nahe verwandte Arten untersucht werden müssen, da diese Eigenschaft in den Hochleistungssorten nicht zu finden ist. Außerdem müssen die wertgebenden Züchtungsziele wie Ertrag, Krankheitsresistenz gegen Pilze und die Anpassungsfähigkeit an standortspezifische Parameter und abiotische Faktoren wie Trockenstress ebenso berücksichtigt werden.

Welche Maßnahmen in der Forschung und Entwicklung sind aus Ihrer Sicht notwendig?

Dadurch, dass mehrere Forschungsdisziplinen wie Entomologie, Phytopathologie, Chemische Ökologie, Phänotypisierung, Genomanalyse, Züchtungsforschung, Bioinformatik und Pflanzenbau ineinandergreifen müssen, sollten Förderprogramme schnellstmöglich sowohl die Grundlagenforschung als auch die anwendungsorientierte und angewandte Forschung stärken. Aus unserer Sicht ist die Entwicklung und Bereitstellung toleranter und resistenter Sorten unabdingbar und macht die Pflanzenzüchtung zur Schlüsseltechnologie für eine leistungsfähige und umweltschonende Landwirtschaft.

Herr Lütke Entrup, vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Beiträge

Hier finden Sie weitere interessante Inhalte.

Susanne Groh Foto Corteva Agriscience.jpg
Magazin
Forschung & Technik
30.03.2024
Susanne Groh: „Neue Technologien verändern die Pflanzenzüchtung“
Hacke mit Kamera Foto Lemken.jpg
Magazin
Umwelt & Verbraucher
01.04.2025
Integrierter Pflanzenbau: Konventionelle Betriebe können es
pheromon_foto_matthias_wiedenau.jpg
Magazin
Schule & Wissen
11.10.2018
Was bedeutet Integrierter Pflanzenschutz?
PI2022-17_Bild1_CollagePflZuechtgCO2-Abruck.jpg
Magazin
Forschung & Technik
22.11.2022
Züchtungsfortschritt bringt Umweltschutz
mg_3861_as.jpg
Magazin
Forschung & Technik
17.12.2019
Welche Pflanzenzüchtung brauchen wir für den Klimawandel?
gerhard_mueller_foto_secobra.jpg
Magazin
Umwelt & Verbraucher
08.11.2018
"Pflanzen könnten ihr Ertragspotenzial besser ausschöpfen"
h_00030535.jpg
Magazin
Umwelt & Verbraucher
20.07.2016
Gregor Mendels Vererbungslehre – Grundstein moderner Züchtung