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Die Glaskirsche ist eine fast vergessene Unterart der Sauerkirsche. Foto: pixabay
03.08.2021
Umwelt & Verbraucher

Die fast vergessene Glaskirsche

Schätzchen für Liebhaber alter Sorten

Die Glaskirsche ist eine fast vergessene Unterart der Sauerkirsche. Sie zeichnet sich durch ihr fast gläsernes, helles Fruchtfleisch aus, ist saftig und nicht zu sauer. Heute werden Glaskirschen meist von privaten Kirsch-Fans angebaut. Und das UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal hat sich mit seiner langen Kirschentradition dem Schutz vom Aussterben bedrohter Sorten verschrieben.

Beschreibung der Glaskirsche

Die Glaskirsche (Prunus cerasus var. cerasus), auch Amarelle oder Wasser-Kirsche genannt, ist eine Kreuzung aus Sauer- und Süßkirsche, eine sogenannte Bastardkirsche. Entsprechend besitzt sie Eigenschaften beider Arten. Der Glaskirschenbaum wächst schnell und kann eine Höhe von bis zu 10 Metern erreichen. Die ovalen, tiefgrünen Blätter laufen an den Enden spitz zu und die Krone wächst leicht kugelig. Die Kirschen selbst sind fast rund und meistens etwas kleiner als bei den gängigen Kirschsorten. Außen sind sie hell, oft gelb mit rotem Schimmer oder durchscheinend hellrot. Ihr Fruchtfleisch kann weiß beziehungsweise fast farblos sein, manchmal auch rötlich eingefärbt. Die Blüten erscheinen bei den frühen Sorten bereits im April, bei den späteren im Mai. Dann kann im Juni oder Juli über mehrere Wochen hinweg geerntet werden.

Sorten der Glaskirsche im Porträt

Die „Spanische Glaskirsche“ kommt nicht aus Spanien, wie der Name vermuten lässt. Vielmehr wurde „Spanische“ früher unrichtig als Marktbezeichnung für verschiedene Sauerkirschen gebraucht. Die Früchte sind groß und rot, mit hellroten Flecken, an denen das mattgelbe Fruchtfleisch glasig durchscheint. Dieses ist weich und saftig mit dem typisch hellen, nicht färbenden Saft. Der Geschmack der „Spanischen Glaskirsche“ ist angenehm süß-säuerlich und aromatisch. Der Baum ist wie die meisten Kirschen selbststeril und braucht daher einen weiteren Kirschbaum zur Befruchtung.

Die Früchte der „Werderschen Glaskirsche“ sind mittelgroß und haben eine hellgelbe Grundfarbe mit roter Deckung. Ihr Fruchtfleisch ist hell und sehr saftig. Eine Besonderheit: Trotz des hellen Fruchtfleischs ist der Saft der „Werderschen Glaskirsche“ rötlich. Die Bäume werden etwa 4 bis 5 Meter hoch und ungefähr 3 Meter breit. Im Juni glänzt diese selbstfruchtbare Sorte mit regelmäßigen, hohen Erträgen. Die „Werdersche Glaskirsche“ ist als Container- oder Wurzelware bei vielen Baumschulen erhältlich.

Großer Gobet“ stammt aus Frankreich, wo die Kirsche schon im 17. Jahrhundert bekannt war. Sie trägt viele weitere Namen; einer der bekannteren ist „Große Glaskirsche von Montmorency“. Die Früchte sind groß, mit leicht abgeflachter Bauchseite. Ihre Haut ist dünn, aber dennoch fest und glänzend sowie von typischer Glasigkeit. Die Grundfarbe ist ein Dunkelorange, das teilweise mit hellem Rot überdeckt wird. Das zarte, weiche Fruchtfleisch ist saftig und hellgelb. Neben dem farblosen, höchstens leicht rötlichen Saft herrscht auch bei dieser Sorte der angenehm säuerliche Geschmack als typisches Merkmal vor.

Die „Diemitzer Amarelle“ wurde traditionell am Mittelrhein angebaut. Dort wurden diese Kirschen in großen Mengen an die Konfitüren- und Konserven-Industrie geliefert. Auch heute sind in den ehemaligen Anbaugebieten viele der Kirschbäume zu finden – meist werden sie jedoch nicht mehr genutzt.

Auch „Dönissens Gelbe Knorpelkirsche“ wird zu den Glaskirschen gezählt, obwohl es sich um eine Süßkirsche handelt. Die Sorte soll in Guben als Zufallssämling entstanden sein und ist wahrscheinlich nach ihrem Züchter benannt worden. Die Kirschen sind mittelgroß und herzförmig, haben eine hell- bis braungelbe Farbe und sind leicht durchscheinend. Das Fruchtfleisch ist mäßig fest und saftig, der Geschmack sehr süß. Da Vögel eher auf rote Kirschen fixiert sind, gibt es bei der Sorte kaum Vogelschaden. Auch von der Kirschessigfliege bleibt sie weitestgehend verschont.

Die „Filsener Glaskirsche“ ist eine frühe Lokalsorte, die bisher nur als einzelner Baum in Filsen im Mittelrheintal entdeckt wurde. Der Baum trägt viele leuchtend rote Früchte mit dem typisch süßsauren Geschmack. Ebenfalls typisch: Der Saft ist hell und nicht färbend. Mit ihrem starken Wuchs und dem üppigen Ertrag ist die „Filsener Glaskirsche“ eine ganz besondere Liebhabersorte. Der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal empfiehlt die Kirschsorte auch für Streuobstwiesen. In der botanischen Literatur und in verschiedenen Datenbanken sind noch einige weitere alte Glaskirschen-Sorten zu finden. So zum Beispiel die „Schöne von Choissy“, „Doppelte Glaskirsche“, „Herzogin von Palluau“, Bettenburger Glaskirsche, Große Glaskirsche, Rothe Oranienkirsche, Pomeranzenkirsche und Larose’s Glaskirsche.

Das Projekt „Mittelrhein-Kirschen“

Vom Mittelalter bis Mitte der 1960er Jahre wurde im Mittelrheintal Obstbau betrieben. Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Mittelrhein-Kirsche ihre Blütezeit. Dank des milden Klimas reiften hier besonders frühe Sorten schnell heran und waren sehr begehrt. Es wird vermutet, dass viele Regionalsorten als Zufallssämlinge entstanden sind und die ältesten dieser Sorten aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. Mit der Konkurrenz aus dem Ausland und dem Umstand, dass im Handel nur wenige Standardsorten gefragt waren, wurde es ab den 1960er Jahren immer schwieriger, die bunte Kirschvielfalt zu vermarkten.

Heute kennen nur noch wenige Menschen die alten, regionaltypischen Kirschsorten, und auch das Wissen darüber geht mehr und mehr verloren. Dem möchte der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal mit vielen engagierten Mitstreitern entgegenwirken. Er setzt sich mit dem Projekt „Mittelrhein-Kirschen“ dafür ein, die Kirschenvielfalt zu erhalten und die Identifikation mit dem Thema Mittelrhein-Kirschen in der Region zu stärken. Das Vorhaben wird im Rahmen des Entwicklungsprogramms „Umweltmaßnahmen, Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft, Ernährung“ (EULLE) durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), die Europäische Union und das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz gefördert.

Regionale Kirschsorten erhalten

Im Rahmen eines Modellvorhabens der Ländlichen Bodenordnung Rheinland-Pfalz hat die Pomologin Dr. Annette Braun-Lüllemann im Welterbe Oberes Mittelrheintal 86 Kirschsorten entdeckt und systematisch erfasst. Darunter waren auch die schon genannten Glaskirschen „Diemitzer Amarelle“ und „Königliche Amarelle“, die „Doppelte Glaskirsche“ und die Lokalsorte „Filsener Glaskirsche“. Durch Baumpflanzungen auf Initiative des Zweckverbands Welterbe Oberes Mittelrheintal konnten viele dieser seltenen Kirschsorten vor dem Aussterben gerettet werden. Einzelne Baumschulen haben Reiser zur Veredelung bekommen, sodass sie die Mittelrhein-Kirschsorten mittlerweile auch in ihrem Sortiment anbieten können. Sogar erste Neuanpflanzungen der traditionellen Sorten im Erwerbsobstanbau sind erfolgt. Für interessierte Baumbesitzer in der Region finden außerdem regelmäßig Schnittseminare statt, bei denen sie sich über die Pflege ihrer Kirschbäume informieren können.

Im Zentrum der Mittelrhein-Kirschen, dem Bereich rund um Filsen, gibt es außerdem zahlreiche Aktivitäten rund um die alten Sorten. So findet sich entlang des „Kirschenpfads Filsen“ ein umfangreicher Sortengarten mit Nachpflanzungen der regionalen Kirschsorten. Während der jährlich stattfindenden „Kirschwochen“ im Juni können fantasievolle Kirsch-Kreationen bei teilnehmenden Gastronomen gekostet werden. Und unter der Spezialitätenmarke „Mittelrhein-Kirschen“ werden hochwertige Kirschprodukte angeboten, die den Genuss der alten Kirschsorten rund ums Jahr ermöglichen und den Obstbauern einen fairen Preis garantieren.

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