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Der Goldregengeißklee +Laburnocytisus adami ist eine Chimäre im Pflanzenreich, die sich wie der Goldregen zu einem Großstrauch entwickelt. Foto: Heinrich Beltz
20.01.2023
Haus & Garten

Chimären: Zwitterwesen im Pflanzenreich

Beim Goldregen und bei Pomeranzen gibt es diese Besonderheiten der Natur als Zierformen für den Garten

Chimären sind Organismen aus genetisch unterschiedlichen Zellgeweben, zwei unterschiedliche Wesen sind also miteinander vermischt oder verwachsen. Daraus können in der Pflanzenwelt interessante Zierformen entstehen.

Der Begriff Chimäre stammt aus der griechischen Mythologie, wo er für Mischwesen verwendet wird, wie zum Beispiel die Meerjungfrauen aus Mensch und Fisch oder die Zentauren aus Mensch und Pferd.

Die real existierenden Chimären im Pflanzenreich sind zwar nicht ganz so spektakulär wie die in der Mythologie, aber trotzdem durchaus interessant. Im weiteren Sinne gehören alle Veredlungen dazu, bei denen zwei Pflanzen zu einer verschmolzen sind und die untere die Wurzel und die obere den Stamm sowie die Zweige bildet. Bei den Veredlungen sind die unterschiedlichen Zellschichten streng voneinander getrennt, oben die der einen Pflanze als Edelsorte und unten die der anderen als Veredlungsunterlage.

In der Praxis sind aber unter dem Begriff Chimäre im engeren Sinne nicht die Veredlungen gemeint, sondern Pflanzen, bei denen genetisch unterschiedliche Zellschichten an den Zweigen nebeneinander auftreten (Periklinalchimären).

Laburnocytisus

Die bekannteste Chimäre unter den Ziergehölzen ist vermutlich der Goldregengeißklee +Laburnocytisus adami, eine Chimäre aus Goldregen (Laburnum anagyroides) und dem zur gleichen Familie der Schmetterlingsblütler (Fabaceae) gehörende Purpurginster (Cytisus purpureus). Das "+" als Namensbestandteil zeigt an, dass es sich um eine Chimäre handelt.

Dieser im 19. Jahrhundert aus dem Kallus (Wundgewebe) einer Veredlung eines Purpurginsters auf einen Goldregen-Stamm entstandene "Pfropf-Bastard" zeigt das starke Wachstum des Goldregens, blüht aber teils rosa wie der Purpurginster und teils gelb wie der Goldregen. Es bildet sich also ein faszinierender, im Mai in zwei Farben blühender, etwa 5 bis 7 Meter hoch werdender Großstrauch, der sich hervorragend für die Einzelstellung in Gärten eignet. Er sollte in voller Sonne stehen und ist ansonsten relativ anspruchslos. Die Samen sind wie die übrigen Pflanzenteile giftig, dürfen also nicht verzehrt werden.

Der +Laburnocytisus kann nicht durch Samen oder Stecklinge vermehrt werden, sondern wird in Baumschulen auf Laburnum anagyroides veredelt. Dadurch sind Pflanzen leider recht teuer und sehr selten. Bei der Veredlungen kann sich leider das Gewebe der Chimäre entmischen, sodass unter Umständen wieder reine Laburnum anagyroides entstehen.

Pomeranze 'Bizzarria'

Eine weitere, relativ bekannte Chimäre im Pflanzenreich ist die Pomeranzensorte 'Bizzarria', eine Chimäre aus der Zitronatzitrone (Citrus medica) und der Pomeranze (Citrus aurantium), die auch als Bitterorange bezeichnet wird. Sie entstand im siebzehnten Jahrhundert in Norditalien aus dem Wundgewebe der Veredlungsstelle einer Zitronatzitrone und einer Pomeranze. Sehr attraktiv sind die Früchte, die durch ihre Längsteilung auffallen: Teils haben sie die Gestalt der runden, orangefarbenen Pomeranzen, teils die der länglichen, gelben Zitronatzitronen.

Es soll noch weitere Chimären aus unterschiedlichen Citrus-Arten geben, die aber weniger weit verbreitet sind als 'Bizzarria'. Obwohl diese Sorte hauptsächlich zur Zierde kultiviert wird, eignen sich die Früchte zur Verarbeitung, vor allem zu Marmelade. Wie andere Pomeranzen auch, müssen sie als Kübelpflanze frostfrei überwintert werden, fühlen sich aber im Sommer an einem sonnigen Standort im Garten wohl.

Mutationen als Periklinalchimären

Während die beiden beschriebenen Chimären aus einer Durchmischung des Wundgewebes einer Veredlung aus zwei völlig verschiedenen Individuen entstanden sind, gibt es auch Periklinalchimären, die durch Mutationen innerhalb derselben Pflanze entstehen. Bei diesen ändert sich durch spontane (natürliche) Mutationen das Erbgut von Zellen, allerdings nicht der gesamten Zellen, sondern nur einer Zellschicht. Solche Individuen zeichnen sich dadurch aus, dass sie "zurückschlagen" können, das heißt manche ihrer Zweige wieder die ursprüngliche Gestalt annehmen. Hier unterscheidet sich die genetische Information der unterschiedlichen Zellschichten also anders als bei +Laburnocytisus und Citrus 'Bizzarria' nicht im gesamten Genom, sondern nur in einzelnen Abschnitten. Besonders häufig sind das gelbe oder weiße Panaschierungen, also Farbveränderungen der Blätter.

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