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Nein, nicht mit „kosmischem Licht“, sondern mithilfe von mechanischen Reaktionen sind Pflanzen in der Lage, Verletzungen schnell zu schließen. Foto: Catrin Hahn / mit KI - Dall E (ChatGPT)
05.11.2024
Forschung & Technik

Wie Pflanzen ihre Wunden heilen

Mechanische Kräfte orientieren die Zellteilung

Pflanzen sind sehr widerstandsfähig und überleben auch in rauen Umgebungen. Das liegt unter anderem an ihrem bemerkenswert effizienten Wundheilungsprozess – den Wissenschaftler schon seit mehr als hundert Jahren untersuchen. Können die Ergebnisse auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben?

Pflanzenzellen sind äußerst starr. Wie Ziegelsteine in einer Mauer, erlauben sie so den Pflanzen, ihre Form beizubehalten und gegen die Schwerkraft anzukämpfen. Aber wie in jedem anderen lebenden Organismus kann es trotzdem zu Verletzungen kommen, zum Beispiel durch Wind, Mahd oder grasende Tiere. Während Menschen und Tiere über Zellen verfügen, die sich mit dem Blut bewegen, um Wunden zu erkennen und zu heilen, mussten Pflanzen wegen dieser Starrheit und Unbeweglichkeit einen gänzlich anderen Mechanismus entwickeln. Eine Gruppe von Wissenschaftlern am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) hat ihn entschlüsselt.

Sie verletzten die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) mit einem Laserstrahl und analysierten den anschließenden Wundheilungsprozess auf mikroskopischer Ebene. Wie sie im Journal Developmental Cell berichteten, formt sich das Gewebe nach einer Verletzung sofort um und veranlasst die Zellen, sich zu teilen und die Wunde zu verschließen.

Ausgleich von Druckunterschieden

In der Wurzel stehen die Pflanzenzellen unter hohem Druck. Wenn das Gewebe beschädigt wird, sterben Zellen ab. Sie platzen auf und Druck entweicht. Dadurch entsteht eine Lücke, die so schnell wie möglich gefüllt werden muss. Sofort reagieren benachbarte Zellen und „strecken“ sich in den Spalt hinein. „Das ist wie zwei Luftballons, die aneinandergepresst sind. Wenn einer der beiden explodiert, verformt sich der andere sofort in Richtung des Geplatzten, um den Druck auszugleichen“, erklärt Lukas Hoermayer, einer der ISTA-Forscher. Die Zellen dehnen sich aus und beginnen sich, anders als Luftballons es könnten, zu teilen. So entstehen neue Zellen, die schließlich die Wunde verschließen. Normalerweise teilen sich Zellen in der Wurzel aber wegen des Einflusses der Schwerkraft ausschließlich nach unten. Hier sind sie jedoch in der Lage, dies in mehreren Richtungen zu tun. Wieso?

Mechanische Kräfte im Zentrum des Geschehens

Im weiteren Verlauf hemmte das Wissenschaftlerteam bestimmte Moleküle, von denen es annahm, dass sie diesen Teilungsprozess beeinflussen. Die Wundheilung blieb unverändert. Daher verlagerte sich der Fokus auf die mechanischen Aspekte. Um diese zu visualisieren, diente ein eigens entwickeltes Mikroskop, das mit einem Laser ausgestattet war: Dessen Strahl verletzte das Pflanzengewebe; die darauffolgenden Ereignisse zeichnete das Mikroskop detailliert auf.

So entdeckten die Forschenden, dass Mikrotubuli – dynamische Proteinstrukturen in der Zelle, die während der Teilung bei der Trennung des genetischen Materials helfen – auf mechanische Veränderungen reagieren. Werden die Zellen gedehnt, positionieren sich die Mikrotubuli neu und legen die Ausrichtung der Zellteilung fest. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die schieren mechanischen Kräfte, die durch die Dehnung der Zellen entstehen, die Zellteilung bei der Wundheilung antreibt“, konstatiert Hoermayer.

Landwirtschaftliche Ökosysteme verbessern

Die Untersuchung zeigt, dass Gewebeentwicklung und -regeneration durch Prinzipien der Mechanik erklärt werden können und belegt die äußerst effiziente Wundheilung der Pflanzen. Eine Tatsache, die aufgrund des fortschreitenden Klimawandels noch mehr an Bedeutung gewinnt.

Das Verständnis der Wundheilungs- und Regenerationsprozesse von Pflanzen birgt auch Möglichkeiten für die Landwirtschaft. Züchter und Landwirte können bei der Umstellung auf widerstandsfähigere Kulturen und robuste Pflanzen für raue Bedingungen – wie extrem salzhaltige oder sandige Böden – zusammenarbeiten.

Quelle: idw-online

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