Der Stierkäfer ist „Insekt des Jahres 2024“. Der charakteristische Vertreter der Familie der Mistkäfer hat gemeinsam mit seinen nahen Verwandten, den Dungkäfern, eine Schlüsselstellung in Ökosystemen: Sie sorgen dafür, dass der Dung von Säugetieren abgebaut wird und die darin enthaltenen Nährstoffe den Pflanzen wieder als Lebensgrundlage zur Verfügung gestellt werden.
Mistkäfer mit Schlüsselstellung in Ökosystemen
Das Kuratorium unter dem Vorsitz von Professor Dr. Thomas Schmitt, Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg, hat die unter Naturschutz stehende Mistkäferart Typhaeus typhoeus aus einer Reihe von Vorschlägen ausgewählt. Der glänzend schwarze Käfer ernährt sich vom Kot pflanzenfressender Tiere und ist durch den zunehmenden Einsatz von Arzneimitteln bei Weidetieren sowie deren ansteigende Stallhaltung bedroht. „Dung- und Mistkäfer gehören zu den am stärksten bedrohten Gruppen unter den Insekten. Der Rückgang der Käfer wird von der Wissenschaft als ein wesentlicher Teil des weltweiten dramatischen Verlusts der Insektenfauna eingestuft“, sagt Kuratoriums-Vorsitzender Schmitt.
Beschreibung des Stierkäfers
Mit einer Körperlänge von 14 bis mehr als 20 Millimetern Körperlänge gehört der Stierkäfer zu den größeren Käferarten. Er ist einfarbig glänzend schwarz. Auf den Flügeldecken sind zahlreiche Punktreihen angeordnet, die als Längsrillen wahrgenommen werden. Die bedornten Grabbeine und die blattförmigen Fühlerkeulen demonstrieren die Lebensweise des Stierkäfers als Gräber im Boden und seine Zugehörigkeit zur Überfamilie der Blatthornkäfer (Scarabaeoidea, Lamellicornia). Auffällig ist der Unterschied zwischen den männlichen und den weiblichen Käfern, der sogenannte Geschlechtsdimorphismus: Männliche Tiere tragen im vorderen Bereich des Halsschilds drei „Hörner“, von denen die beiden äußeren nach vorne gerichtet sind, während das mittlere nur etwa halb so lang ist. Diese werden beim Kampf mit Rivalen eingesetzt, aber auch, um den Nistplatz zu schützen.
Kotfressender Kraftprotz
Der Stierkäfer kann mehr als das 1000-fache seines eigenen Körpergewichts bewegen. Diese Stärke nutzt er, um Kot von Kaninchen, Rehen, Rindern, Schafen oder Pferden in Form einer Kugel als Nahrung für den Nachwuchs in die engen Gänge seiner Brutkammern zu schieben. Dafür graben die Käfer nach der Paarung einen etwa 1 bis 2 Zentimeter breiten und bis 1,5 Meter tiefen Schacht in den lockeren Boden. Die Seitengänge enden jeweils in einer Kammer, wo der eingebrachte Kot zu einer Pille geformt wird, neben der das Weibchen das Ei ablegt. Aus dem Ei schlüpft die Stierkäfer-Larve, die zur Brutpille kriecht und sich dort ernährt. Die Entwicklung der Käfer ist nach etwa einem Jahr abgeschlossen.
Ökosystemleistung des Stierkäfers
Kotfressende Käfer, im Fachjargon „koprophag“ genannt, haben eine große Bedeutung für unsere Ökosysteme. Werner Schulze, Mitglied des Kuratoriums vom NABU erklärt: „Koprophage Käfer sorgen dafür, dass frischer Kot, vor allem von Säugetieren, relativ rasch – bei uns in der Regel innerhalb weniger Tage – von der Bodenoberfläche verschwindet. Dadurch wird der Nährstoffkreislauf zugunsten des Pflanzenwachstums geschlossen. So regulieren die Käfer auch die Entwicklung von parasitischen Würmern und Fliegen im Säugetierkot, fördern den Transport von Pflanzensamen und reduzieren die Emission von Treibhausgasen vor allem aus Kuhfladen.“ Allein in Großbritannien wird der Leistung der kotfressenden Käfer ein Wert von 400 Millionen Euro pro Jahr zugerechnet. „Allerdings werden diese Ökosystemleistungen nur erbracht, wenn die Fäkalien von Weidevieh stammen. Gülle und Mist von Tieren aus Stallhaltung können praktisch nicht von den nachtaktiven, eher versteckt lebenden Käfern verwertet werden“, so Schmitt.
Rückgang von Mist- und Dungkäfern
Bereits seit vier Jahrzehnten verzeichnen Entomologen und Ökologen auf der ganzen Welt einen starken Populationsrückgang vieler Mist- und Dungkäfer. Der Auslöser: Weidetierhalter sind in der Vergangenheit vermehrt dazu übergegangen, ihre Tiere nicht nur bei akuten Krankheiten und bei Parasitenbefall mit Medikamenten zu behandeln, sondern zum Beispiel Anti-Wurmmittel auch prophylaktisch zu verabreichen. „Da die Wirkstoffe von den behandelten Tieren ausgeschieden werden, wirken sie über die eigentlichen Zielorganismen hinaus – mit Folgen für alle im Kot lebenden oder sich davon ernährenden Insekten. Das hat zur Folge, dass koprophage Käfer absterben oder nur noch eingeschränkt reproduzieren“, so Werner Schulze. Professor Schmitt resümiert: „In Mitteleuropa sind zur Erhaltung oder Wiederherstellung einer naturnahen und wirkungsvollen Koprophagenfauna mehrere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählt die Reduktion von Antiparasitika bei Haus- und Nutztieren – vor allem dürfen diese Mittel nicht mehr rein prophylaktisch verabreicht werden. Nutztiere sollten zudem – wo möglich – wieder zu Weidegängern werden. Stallhaltung muss die Ausnahme, nicht die Regel sein.