Ende 2021 hat das Kuratorium aus namhaften Insektenkundlern sowie Vertretern von Fachgesellschaften die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege aus mehreren Vorschlägen als „Insekt des Jahres 2022“ gekürt. Damit wird die Aufmerksamkeit auf ein eher unbekanntes Tier gelenkt, das auch als lebendes Fossil bezeichnet wird. Schirmherrin ist Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler.
Aufmerksamkeit für ein lebendes Fossil
Kamelhalsfliegen gelten heute als die artenärmste Ordnung von Insekten mit vollständiger Verwandlung – also mit einem Puppenstadium. Die vielen fossilen Funde lassen aber vermuten, dass Insekten zu Lebzeiten der Dinosaurier in viel größerer Vielfalt auf der Erde vertreten waren.
Beschreibung und Vorkommen der Kamelhalsfliege
Weltweit sind etwa 250 Arten von Kamelhalsfliegen (Raphidioptera) bekannt. Sie sind zwischen 6 und 15 Millimeter groß, haben einen auffallend langen Hals und fast durchsichtige Flügel. In Mitteleuropa sind bislang 16 Arten beschrieben, darunter die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege (Venustoraphidia nigricollis), das Insekt des Jahres 2022. Diese Art mit dem charakteristischen schwarzen Halsschild galt lange Zeit als eine der seltensten – bis man erkannte, dass sich die adulten Tiere überwiegend in der Kronenschicht von Bäumen aufhalten. Kamelhalsfliegen sind in allen Lebensstadien Landbewohner. Die geschlechtsreifen Insekten sind tagaktiv und ernähren sich häufig von Blatt- und Schildläusen. Bei einer ausreichenden Populationsdichte können rindenlebende Larven der Kamelhalsfliegen als „Gegenspieler“ von Schadinsekten wie Borkenkäfern nützlich sein. „Trotz ihrer gut entwickelten Flügel sind die Tiere dennoch keine guten Flieger, sondern bewegen sich eher schwirrend, hüpfend oder flatternd und nie über große Strecken“, erklärt Professor Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg und Vorsitzender des Kuratoriums.
Die Verbreitung der Kamelhalsfliegen
Die Verbreitung der Kamelhalsfliegen ist auf Teile der Nordhalbkugel beschränkt, da die Insekten für ihre Entwicklung einen deutlichen Temperaturabfall benötigen. Zahlreiche fossile Funde legen aber nahe, dass dies in der Erdgeschichte nicht immer so war und die Insekten nicht nur artenreicher, sondern auch weiter verbreitet waren. „Der Einschlag des Meteoriten zum Ende der Kreidezeit, vor etwa 66 Millionen Jahren, machte dann nicht nur den Dinosauriern den Garaus – die daraus folgenden klimatischen Veränderungen ließen ausschließlich die kälteadaptierten Formen der Kamelhalsfliegen überleben“, so Schmitt. „Deren Aussehen ähnelte aber dem der heutigen Arten bereits sehr. Man kann die Kamelhalsfliegen daher auch als ‚lebende Fossilien‘ bezeichnen.“
Kamelhalsfliegen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
In Österreich gibt es zwei besondere Beispiele für das Vorkommen von Kamelhalsfliegen. Mitten in der Hauptstadt Wien, in den Kiefern auf dem Maria-Theresien-Platz, haben sich zwei Kamelhalsfliegen-Arten angesiedelt. Und rund um einen mehrere Jahrhunderte alten Bauernhof in Oberösterreich gibt es jedes Jahr ein Massenauftreten der Insekten. Die geschlechtsreifen Tiere einer aus dem Mittelmeerraum eingeschleppten Art sind hier jedes Jahr während der Paarungszeit von Mai bis Juli in großer Anzahl zu beobachten.
Obwohl Kamelhalsfliegen in Mitteleuropa theoretisch alle Wälder, Parks und Gärten, besiedeln können, gibt es aus vielen Gebieten keine Nachweise. Das könnte sich aber ändern, wenn zum Beispiel in Deutschland, Österreich und der Schweiz Bürgerwissenschaftler Fotonachweise liefern würden. Denn die meisten mitteleuropäischen Arten lassen sich laut Schmitt anhand von Fotos bestimmen.