Mimikry – Tarnung durch Nachahmung, so heißt es, wenn Tiere oder Pflanzen das Aussehen, die Geräusche oder den Geruch von anderen Tieren oder Pflanzen nachahmen, mit denen sie nicht verwandt sind. Die Kletterpflanze Boquila trifoliolata kann ihre Blätter so verändern, dass sie dem Laub des Baums ähneln, an dem sie gerade hochwächst.
Boquila trifoliolata ahmt Blätter von verschiedenen Bäumen nach
Gibt es eine Kletterpflanze, deren Blätter dem Laub des jeweiligen Baums ähneln, an dem sie emporwächst? Wer bei dieser Quizfrage mit „Nein“ antwortet, wird schon mal nicht Millionär, denn das gibt es wirklich. Die südamerikanische Kletterpflanze Boquila trifoliolata kann das. Aber warum das so ist und wie es funktioniert, darüber streiten sich die Wissenschaftler. Eine Hypothese ist, dass die Pflanze „Blattaugen“ hat, mit denen sie die Form und Farbe der Blätter des Baums erkennen und imitieren kann.
Mimikry in Grün
Boquila trifoliolata wächst im schattigen und feuchten Regenwald im südlichen Chile und Argentinien. Interessant ist, dass sie ihre Blätter sozusagen „im Vorbeiwachsen“ ändern kann, je nachdem, an welchem Baum oder seinem Nachbarn sie gerade entlangwächst. Quasi „heute Eiche, morgen Buche“ könnte man diese Eigenschaft nennen. Bisher ist weder genau geklärt, warum die Pflanze das macht, noch wie sie das macht. Eine mögliche Erklärung wäre, dass ihre Blätter dann nicht so schnell von Insekten oder Parasiten „entdeckt“ und gefressen werden. Eine andere Idee ist, dass die Pflanze „denkt“, „wenn ich meine Blätter an die meines Wirtsbaums anpasse, dann bin ich optimal an die Umgebung angepasst und habe die höchste Photosyntheserate“.
Natürlich können Pflanzen nicht in unserem Sinn denken, aber das Verhalten der Pflanze ist so interessant, dass sich die beiden chilenischen Forscher Ernesto Gianoli und Fernando Carrasco-Urra 2014 näher damit beschäftigt haben. Sie kamen zu dem zunächst noch sehr spekulativen Schluss, dass Boquila trifoliolataflüchtige Stoffe der Pflanze an der sie gerade emporklettert, erkennen und damit menschlich gesprochen „riechen“ kann. Eine andere Theorie der beiden Wissenschaftler ist ein horizontaler Gentransfer des genetischen Bauplans der Wirtspflanzen über Bakterien. Beide Hypothesen konnten bisher wissenschaftlich weder belegt oder widerlegt werden.
Eine weitere Theorie aus dem Jahr 2021 lautet: Die Pflanze hat „Blatt-Augen“ (Ocelli) und kann damit die Blätter der Wirtspflanze „sehen“ und dann nachahmen. Die Versuchsansteller kamen zu dieser Ansicht, weil in ihrem Versuch die Wirtspflanze aus Plastik war und der Vorgang trotzdem funktionierte. Bisher hat zwar noch niemand Augen im eigentlichen Sinn bei Pflanzen nachweisen können, belegt ist aber beispielsweise, dass Pflanzen Lichtquellen orten können oder dass manche pflanzliche Zellen wie Mikrolinsen wirken, um die Richtung von Lichtquellen zu erkennen und gezielt anzusteuern. Obwohl es also bisher noch keine endgültige Erklärung gibt, bleibt es weiterhin spannend, mit welchem System Boquila trifoliolata „arbeitet“, um die Wuchsform der Blätter der Wirtspflanze zu imitieren.
Quelle: pflanzenforschung.de
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