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Krabben sind nicht nur eine Delikatesse, z. B. auf Weihnachtsfeiern ... Foto: Fotolia
16.12.2015
Forschung & Technik

Die Kraft, die von den Krabben kommt

Das Pflanzenstärkungsmittel Chitosan

Auf diese Querverbindung mussten die Wissenschaftler erst einmal kommen: Meeresschalentiere und Nutzpflanzen. Wie so oft, hat auch hier der Zufall Pate für das Forscherglück gestanden. Als wichtiges Einsatzgebiet der sich abzeichnenden biotechnologischen Produktion von Chitosanen zeichnet sich die Landwirtschaft ab, für die ertragreiche und widerstandsfähige Pflanzen schon immer von höchster Bedeutung waren.

Nordsee-Urlauber wissen Bescheid: Von einer Krabben-Mahlzeit bleibt nach mühsamem Pulen mehr übrig als zum Essen da war. Das sind die Schalen, und Chitin heißt der Stoff, aus dem sie bestehen. Für 240 Wissenschaftler aus 40 Ländern war dieser bislang wenig beachtete Stoff wichtig genug, um sich im August 2015 in Münster immerhin schon zum dreizehnten Mal zu einer Chitin- und Chitosan-Tagung zu treffen. Von einem „Wunderstoff“ wurde dort berichtet und von „unglaublichen“ Fähigkeiten des Chitosans. Chitin ist ein Biomolekül, das als „eine lange Kette von Zuckermolekülen“ die Krabbenschalen stabilisiert, wie Professor Dr. Bruno Mörschbacher vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erklärt. An jedem Zuckermolekül hängt ein Essigsäurerest. Wenn dieser entfernt wird, bleibt positiv geladenes, leicht in Wasser lösliches Chitosan übrig.

Nur ein bestimmtes Molekül kommt in Frage      

„Die meisten biologischen Moleküle sind negativ geladen“, leitet Bruno Mörschbacher zu einem natürlich ablaufenden Mechanismus über. Weil positive und negative Ladungen sich anziehen, können die positiv geladenen Chitosane sich an viele negativ geladene Moleküle binden und sie beeinflussen. Das mutet simpel an, doch das ist es nicht, wenn bestimmte Anwendungen gewünscht sind. „Chitosan besteht aus sehr vielen Molekülen“, beschreibt der Forscher eine erhebliche Hürde für den Praxiseinsatz. Ein ganz bestimmtes Molekül sei herauszugreifen, um das gewünschte Pflanzenstärkungsmittel herzustellen.

Hitzebeständig und schädlingsresistent

Up-Cycling heißt die trickreiche Methode, mit der die Wissenschaftler aus den als Abfall anfallenden Krabbenschalen etwas Neues herstellen. Der in Versuchen gewonnene und erstaunlich wirksame Extrakt Chitosan macht die Pflanze widerstandsfähiger, etwa gegen Witterungseinflüsse. Bei einem Versuch in marokkanischen Gewächshäusern am Nordrand der Sahara, in denen Tomaten wachsen, stieg bei einer Hitzewelle unter den Glasdächern die Temperatur auf über 60°Celsius. Die meisten Pflanzen welkten bis zur Leblosigkeit, nur eine mit Chitosan behandelte Reihe überstand die Sonnenglut.

Auch auf die Qualität des Ernteguts wirkt sich die Chitosangabe offenbar positiv aus. So wurden im vergangenen Herbst an der Mosel und in der Pfalz Chitosan-Versuche angestellt. Dabei konnte sogar mit geschlossenen Augen leicht festgestellt werden, ob eine Rebe mit Chitosan behandelt worden war oder nicht. „Die mit Chitosan behandelten Reben waren einfach süßer“, verblüfft Bruno Mörschbacher mit einer erstaunlichen Feststellung.

Biologische Methoden sind am Zug

Im nächsten Schritt wird in europäischen Forschungsprojekten an der Aufgabe gearbeitet, wie Chitosan künstlich hergestellt werden kann. „Kleine“ Chitine und Chitosane sind bereits hergestellt worden. Sie bestehen auf fünf oder sechs Zuckereinheiten. Die „großen“ in der Natur vorkommenden Polymere, bei denen 1000 oder gar 2000 Zuckereinheiten aneinander hängen, sie sind noch Zukunftsmusik, doch die Arbeit daran ist aufgenommen worden. Chemische Verfahren durch biologische Methoden zu ersetzen, um natürliche Chitosane zu gewinnen, das ist denn auch das Ziel des europäischen Forschungsprojekts „Nano3Bio“, von dem die Münsteraner Universität berichtet.

Aktuell ist die Substanz im biologischen Weinbau als Pilzbekämpfungsmittel in Erprobung, um die Kupferausbringung zu reduzieren. „Anfangserfolge zeichnen sich ab“, weiß Mörschbacher, „nachdem eine Methode gefunden wurde, wie sich Kupfer und Chitosan ergänzen“. Chitosan hält die Rebe bei Kräften und schwächt die Pilze mit der Folge, dass die Kupfermenge zurückgefahren werden kann. Ein besonders vielversprechendes Vorhaben ist der Einsatz von Chitosan zur Stärkung von landwirtschaftlichem Saatgut. Das würde einen besseren Schutz vor Schädlingen bedeuten und damit nicht zuletzt ertragreichere Ernten.

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