Standpunkt zur künftigen Regierungspolitik : Gentechnik ist kein Teufelszeug
Gentechnik ist kein Teufelszeug
AGRA Europe hat Agrarwissenschaftlerinnen und Agrarwissenschaftler um Antworten auf die Frage gebeten, was die neue Bundesregierung aus ihrer Sicht anpacken sollte. Matin Qaim ist seit 2021 Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn. Zuvor war er 14 Jahre Professor für Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung in Göttingen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Fragen der Welternährung und der nachhaltigen Landwirtschaft vor dem Hintergrund knapper natürlicher Ressourcen. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Kleinbauernsektor der Entwicklungsländer, wo Qaim Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft, Ernährung und Armut untersucht.
Vor dem Hintergrund von Kriegen und neuen geopolitischen Spannungen scheinen die Ziele für nachhaltige Entwicklung an Aufmerksamkeit zu verlieren. Dazu gehören auch die Themen Klimawandel, Biodiversität und Welternährung. Nach wie vor leiden über 700 Mio. Menschen an Hunger und über 3 Mrd. Menschen an Nährstoffdefiziten. Nach Erfolgen in der Hungerbekämpfung in den letzten Jahrzehnten hat sich die Situation seit 2015 nicht weiter verbessert. Das globale Produktivitätswachstum hat abgenommen, zum Teil durch den Klimawandel bedingt. Die Preise steigen und erschweren für arme Menschen den Zugang zu gesunder Ernährung. Gleichzeitig heizen steigende Preise vor allem im Globalen Süden die zusätzliche Rodung von Waldflächen an, mit schlimmen Folgen für Klima und Biodiversität.
Was sollte Deutschland tun? Ich möchte zwei Dinge besonders hervorheben, die die neue Bundesregierung mit Blick auf nachhaltige Ernährungssicherung priorisieren muss.
Erstens, mehr Investitionen in internationale Agrarforschung und Agrarentwicklung. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft – vor allem in Afrika – bleibt aufgrund schlechter Infrastruktur und fehlender Innovation weit hinter ihrem Potenzial zurück. Gleichzeitig ist der Kleinbauernsektor am stärksten vom Klimawandel betroffen. Ernteausfälle und fehlende Einkommensalternativen führen lokal schon jetzt zu mehr Hunger und Armut, aber das schlimmste kommt erst noch, wenn die Systeme nicht rasch und umfassend verbessert und angepasst werden. Hier benötigen arme Länder Unterstützung von Deutschland und Europa, gerade jetzt, wo auf die USA international nicht zu bauen ist.
Zweitens, Deutschland muss erkennen, dass auch die hiesige Produktion wichtig für die Weltversorgung ist. Wir ernähren nicht die Welt, tragen aber als Gunststandort Verantwortung für eine effiziente Nutzung der global knappen Land- und Wasserressourcen. Das hat auch geopolitische Implikationen. Derzeit ist Russland bei Weitem der größte Getreideexporteur, auch ein Grund dafür, warum sich importabhängige Länder in Afrika und Asien politisch nicht gegen Russland positionieren wollen. Dieser Trend wird sich verschärfen, wenn wir in Europa die Produktion zurückfahren.
Die europäische Landwirtschaft muss klima- und umweltfreundlicher werden, was auch weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel heißt. Weniger Chemie bedeutet aber auch weniger Produktion, wenn wir nicht andere, smartere Technologien entgegensetzen. Hier brauchen wir Politikveränderung. Seit 25 Jahren blockieren wir in der EU die Gentechnik und verdammen sie als Teufelszeug, und zwar gegen jede wissenschaftliche Evidenz. Gentechnik und Genomeditierung bieten große Potenziale, die Landwirtschaft produktiver, umweltfreundlicher, vielfältiger und klimaresilienter zu machen. Ein Vorschlag für einen ersten Schritt zur Reform des unzeitgemäßen EU-Gentechnikrechts liegt seit zwei Jahren auf dem Tisch und sollte vorangetrieben werden. Die bisherige Verhinderung der Gentechnik in der EU hat auch Auswirkungen auf Afrika und Asien, wo neue Technologien noch viel dringender benötigt werden als bei uns. Um nicht falsch verstanden zu werden, Technologie allein ist kein Wundermittel. Aber ohne neue Technologien wird nachhaltige Welternährungssicherung nicht zu erreichen sein. AgE
Zuvor haben sich in dieser Reihe bereits Prof. Regina Birner und Prof. Achim Spiller sowie Prof. Alfons Balmann, Prof. Peter Feindt, Prof. Friedhelm Taube, Prof. Justus Wesseler, Dr. Norbert Röder, Prof. Stephan von Cramon-Taubadel, Prof. Hermann Lotze-Campen, Prof. Uwe Latacz-Lohmann sowie Prof. Harald Grethe und Christine Chemnitz zu Wort gemeldet. In den kommenden Tagen folgen in loser Folge weitere Beiträge.