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Besonders große Artenvielfalt ist in den Weinbergen in Steillagen zu finden. Foto: Fotolia
12.06.2014
Forschung & Technik

Weinbau und Biodiversität, eine gute Verbindung

Flora und Fauna im Weinberg lieben die intensive Bewirtschaftung

Forscher untersuchen neuerdings mit überraschenden Ergebnissen die Naturausstattung im Weinberg. Sie räumen mit einigen Vorurteilen und Fehlinformationen auf.

Man kann es so oft hören oder lesen, dass man es für richtig halten könnte: Zum Beispiel, dass Landbewirtschaftung heute Monokultur, ausgeräumte Landschaft und Artensterben bedeutet. Dr. Klaus Epperlein hat den Sachverhalt wissenschaftlich untersucht und kommt zu ganz anderen Erkenntnissen. Der an der Hochschule Anhalt in Köthen lehrende Wissenschaftler erklärt, warum der Zusammenhang zwischen Bewirtschaftung und Artenvielfalt neu gesehen werden muss. Vor allem, was die Artenvielfalt und Verteilung der Individuen angeht, haben die intensiv bewirtschafteten Weinberge in Steillagen überrascht. Deren Rebzeilen mit den großen Zwischenräumen und die terrassierenden Steinwälle bieten attraktive Lebensräume für Flora und Fauna.

„Intensiv“ liegt ökologisch auf Platz eins

Entscheidend für Vorkommen und Populationsdichte ist offenbar die Wechselwirkung zwischen Pflanze, Tier und Randbedingungen. Dazu gehören der Boden und das Klima sowie der Grad der Bewirtschaftung. Die Forscher stellten fest, dass intensiv gestaltete Flächen die Ansiedlung von Flora und Fauna stärker fördern als extensive oder weitgehend sich selbst überlassene mit Wildbewuchs. Das berichten sie vom Landschaftsschutzgebiet „Süßer See“ in Sachsen-Anhalt, der vom „Böse Sieben“-Bach gespeist wird. Dort krabbelten von insgesamt 4 863 aufgespürten Laufkäfern 163 auf einem extensiv bewirtschafteten Weinberg. Auf der Weinbergsbrache fanden sich 997 Kerbtiere. Doch auf dem intensiv bewirtschafteten Weinbergshang wuselten 3 703.

Der Naturschutz kann neu definiert werden

Wie kommt es zu diesen Unterschieden? Vor 500 Jahren wurden in den Hängen Terrassen mit Trockenmauern für den Weinbau angelegt. So entstanden Flächen mit freiem Boden und ungehinderter Sonneneinstrahlung. Das kommt hitzeliebenden Insekten zugute. Auch die Weinstöcke selbst bieten in ihren Laubwänden unzähligen Spezialisten eine komfortable Bleibe. Klaus Epperlein zieht daraus den Schluss: „Eine der effizientesten und kostengünstigsten Arten des Naturschutzes ist ein bewirtschafteter Weinberg.“ Er ist sogar ein Rückzugsgebiet für einige äußerst seltene Arten.

Faszinierende Vielfalt plus Seltenheiten plus Exoten

Im Weinberg kommen viele wärmeliebende Tiere vor. Eidechsen oder die seltene Schlingnatter sind zu finden. Spektakuläres Beispiel ist der auf Platz 2 der Roten Liste geführte Segelfalter (Iphiclides podalirius Scop.), ein Charaktertier der Weinhänge. Seine Raupe braucht Temperaturen von 40 bis 45 Grad Celsius, um sich entwickeln zu können. Diese finden sie in Deutschland nur auf offenen Weinhängen und in Bodennähe. Richtig wohl fühlt sich auf steiler Höhe der eigentlich gar nicht so seltene Schmetterling Mauerfuchs (Lasiommata megera), der die Mauern gern zum Sonnenbaden nutzt.

Nachdem er sich über Jahrzehnte rar gemacht hatte, ist der Kleine Bombardierkäfer (Brachinus explodens) heute wieder anzutreffen. Bei Weinbergsführungen ergötzt er mit einer besonderen Fertigkeit, indem er die Knallgasreaktion als Waffe einsetzt. Dieser Käfer produziert in seinem Hinterleib Hydrochinon und Wasserstoffperoxid. Bei Gefahr vermengt er beide Chemikalien zu einem hochexplosiven Gemisch und wehrt sich mit einem lauten Knall. Charakteristisch für die traditionelle Hangflora sind beispielsweise Weinbergstulpe, Hyazinthe und Fette Henne, die sich im Steillagenanbau erhalten haben. Sie sind Wirtspflanzen für Blütenbesucher.

Apollo-Wanderungen sind sehr beliebt   

Diese Reichhaltigkeit ist unbeabsichtigt durch den Menschen und seine Tätigkeit in den Weinberg gekommen“, erklärt Klaus Epperlein. In der Öffentlichkeit sei das Wissen um den ökologischen Wert intensiv bewirtschafteter Weinberge allerdings noch nicht angekommen. Da beklage man lieber das angeblich natur- und umweltschädigende Tun der Winzer und Landwirte, so Epperlein. Die reiche und interessante Fauna der Weinberge bringt auch wirtschaftlichen Nutzen. So werden an der Mosel bereits geführte Wanderungen zum Apollo-Falter angeboten. Dort ist dieser prächtige Tagschmetterling sogar zum Werbeträger der Region mutiert.

Der Weinberg, die Terra incognita

Die Weinbergbesucher bekommen hautnah mit, dass der intensive Weinbau die Artenvielfalt fördert. Die Forschungen Epperleins und seiner Kollegen haben gezeigt, dass etwa in nicht mehr bewirtschafteten Weinbergen, keine „Charakterarten“ vorkommen und dass die Zunahme von Brachflächen grundsätzlich die Abnahme der typischen Weinbergsbewohner – seien es Pflanzen oder Tiere – zur Folge hat. Statt wärmeliebender weinnaher Charaktertiere finden sich dann umso mehr Asseln und Spinnen. „Die Weinrebe ist seit 10 000 Jahren Kulturpflanze und hat in dieser Zeit manchen Wechsel erlebt. Doch über die Biodiversität zu ihren Füßen oder in ihrem Laub ist herzlich wenig bekannt“, findet Klaus Epperlein.

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