Studie zeigt Vorteile molekularer Züchtungsmethoden auf
Über zwei Milliarden Menschen weltweit leiden am sogenannten versteckten Hunger. In einem Übersichtsartikel zeigt ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen, wie Gentechnik helfen kann, den Mikronährstoffmangel nachhaltig zu bekämpfen. Der Artikel wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Hidden Hunger – chronischer Mangel an Mikronährstoffen
Versteckter oder verborgener Hunger (Hidden Hunger) bezeichnet eine chronische Unterversorgung mit Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen. Im Gegensatz zum „echten“ Hunger kann der versteckte Hunger auch auftreten, wenn eigentlich genug Nahrung zur Deckung des Energiebedarfs vorhanden, das Angebot jedoch einseitig ist. Die Ursache dafür ist in den meisten Fällen Armut. So tritt der verborgene Hunger zu 90 Prozent in den Entwicklungsländern auf. Qualitativ unzureichende Ernährung und Ernährungsunsicherheit entstehen nach Ansicht der Welternährungsorganisation FAO dann, wenn Menschen der dauerhafte Zugang zu gesunden und nahrhaften Lebensmitteln verwehrt ist. So ernähren sich Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten im globalen Süden häufig mit Grundnahrungsmitteln wie Reis, Hirse, Mais oder Cassava. Diese sättigen zwar, liefern aber nicht alle Mikronährstoffe, die der menschliche Körper braucht. Vor allem für Kinder ist dies dramatisch. Denn Hidden Hunger geht mit verschiedensten Störungen der mentalen und körperlichen Entwicklung einher. Aber auch bei Erwachsenen führt Mikronährstoffmangel häufig zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen.
Biofortifikation als Maßnahme gegen Hidden Hunger
Eine Maßnahme, um die chronische Unterversorgung mit wichtigen Mikronährstoffen zu bekämpfen, ist die sogenannte Biofortifikation. Mit dieser Methode werden Nahrungsmittel vor der Ernte mit Nährstoffen angereichert. Dies kann beispielsweise durch spezielle Düngergaben erfolgen, aber auch im Rahmen der Züchtung. Internationale Agrarforschungszentren haben in den vergangenen 20 Jahren bereits verschiedene biofortifizierte Pflanzen mit konventionellen Züchtungsmethoden entwickelt, unter anderem Mais und Süßkartoffeln mit Vitamin A oder Reis mit höherem Gehalt an Zink. Diese Pflanzen werden inzwischen in zahlreichen Entwicklungsländern angebaut. Allerdings haben konventionelle Züchtungsmethoden gewisse Grenzen.
Gentechnik erhöht Nutzen biofortifizierter Pflanzen
In ihrem Übersichtsartikel erläutern die internationalen Wissenschaftler, wie Gentechnik helfen könnte, den Nutzen biofortifizierter Pflanzen noch weiter zu steigern. „Mit gentechnischen Ansätzen können deutlich höhere Mikronährstoffgehalte in den Pflanzen erreicht werden als mit konventionellen Züchtungsmethoden allein. Wir haben dies bereits für Folsäure in Reis und Kartoffeln gezeigt,“ sagt Erstautorin Professor Dr. Dominique Van der Straeten von der Universität Gent. „Außerdem ist es uns gelungen, die Vitaminverluste nach der Ernte erheblich zu senken.“
Ein weiterer Vorteil der Gentechnik sei, dass hohe Gehalte verschiedener Mikronährstoffe in der gleichen Pflanzensorte miteinander kombiniert werden könnten. „Das ist wichtig, weil arme Menschen häufig unter verschiedenen Nährstoffdefiziten gleichzeitig leiden“, sagt Ko-Autor Dr. Howarth Bouis vom International Food Policy Research Institute. Die Gentechnik erleichtert es außerdem, die Pflanzen gleichzeitig mit Dürre- oder Schädlingstoleranz zu versehen. Das sind Eigenschaften, die vor dem Hintergrund des Klimawandels immer wichtiger werden. „Bauern sollten sich nicht entscheiden müssen, ob sie Sorten anbauen, die entweder nährstoffreich sind oder stabile Erträge liefern. Beide Aspekte in den gleichen Sorten zu kombinieren, ist wichtig und kann mit zu einer weiten Verbreitung gerade im Kleinbauernsektor beitragen“, sagt Ko-Autor Professor Dr. Matin Qaim von der Universität Göttingen.
Schnelle Maßnahme gegen Hunger
Gentechnik wird von vielen Menschen mit Skepsis betrachtet, obwohl die so entwickelten Pflanzen sicher für Umwelt und die menschliche Gesundheit sind. „Biofortifizierte Pflanzen könnten dabei helfen, die Akzeptanz zu steigern, weil diese Pflanzen speziell zum Wohle armer Bevölkerungsgruppen entwickelt werden“, so die Autorinnen und Autoren der Übersichtsstudie.
Deutlich wird jedenfalls, dass die Einführung biofortifizierter Nutzpflanzen – entweder durch konventionelle Züchtung, Gentechnik oder deren Kombination – dazu beitragen kann, das UN-Nachhaltigkeitsziel „Zero Hunger“ bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Langfristig muss das Ziel sein, dass alle Menschen auf der Erde durch eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung alle Mikronährstoffe aufnehmen können, die sie für ein gesundes Leben brauchen.