Neue Wirkstoffklasse entdeckt
 
  Neue Wirkstoffklasse entdeckt
Meilenstein bei der Bekämpfung gefräßiger Raupen und Schadinsekten. Interdisziplinäre Teamarbeit war Schlüssel zum Erfolg
Das Team um den Biochemiker Dr. Peter Lümmen hat einen neuen Meilenstein in der Bekämpfung von Raupen und anderen schädlichen Insekten gesetzt. Die Forscher von Bayer CropScience entdeckten einen Wirkstoff, die nach Meinung der Experten ein riesiges Potenzial bietet. Schon geringste Mengen werden den Schädlingen - und nur diesen - zum Verhängnis. Der Biochemiker verrät einige Hintergründe.Eine neue Wirkstoffklasse wird nur „alle heiligen Zeiten“ einmal entdeckt. Wie ist es Ihnen gelungen?
Dr. Peter Lümmen: Neben der konsequenten und beharrlichen Arbeit war das Zusammenspiel im Team der Schlüssel zum Erfolg. Bei uns gibt es Chemiker, Biologen, Physiologen und Toxikologen – die Vielfalt wirkte unheimlich bereichernd. Jeder Kollege hat seine Erfahrungen und Stärken eingebracht. Es ist fast wie in einer Fußballmannschaft. Echter Mannschaftsgeist, zahlreiche Doppelpässe und gekonnte Steilvorlagen haben schließlich zum Sieg geführt. Wir alle sind stolz auf die neue Wirkstoffklasse, die ein echter Fortschritt ist. Möglicherweise hat man nur ein oder zwei Mal im Forscherleben die Gelegenheit, an einer solchen Entwicklung teilzuhaben.
Was ist so revolutionär an Ihrer Entdeckung?
Dr. Peter Lümmen: Mit der neuen Wirkstoffklasse wird uns ein wichtiger Erfolg gegen Insekten gelingen, die weltweit Milliardenschäden an Nahrungs- und Energiepflanzen verursachen. Viele Insekten sind gegen Wirkstoffe aus älteren chemischen Klassen resistent. Die Substanzen dieser neuen Klasse wirken hingegen bereits in geringen Mengen: Zwischen 20 und 50 Gramm pro Hektar (das sind 10 000 Quadratmeter) reichen aus. Denn sie setzen an einer ganz anderen Stelle im Stoffwechsel der Schädlinge an. Sie sorgen dafür, dass sich die Muskeln dauerhaft zusammenziehen. Das ist über kurz oder lang tödlich. Menschen, Säugetiere, Vögel und Fische reagieren allerdings nicht auf die Substanzen, weil sie über andere Andockstellen – wir sprechen von Rezeptoren – verfügen. Mit Flubendiamide haben wir jetzt den ersten Wirkstoff dieser Klasse zur Marktreife geführt.
Wie sind Sie im Einzelnen vorgegangen?
Dr. Peter Lümmen: Ganz am Anfang stand eine riesige Auswahl chemischer Substanzen. Schritt für Schritt haben wir diejenigen Verbindungen isoliert, die uns Erfolg versprechend erschienen. Dabei kam es nicht nur auf die Wirkung gegen den Schaderreger an. Vor allem die Umwelt- und Abbaueigenschaften spielten eine Rolle. Um hier Klarheit zu bekommen, waren unendlich viele Tests erforderlich. Zunächst im Labor, dann im Gewächshaus und in Feldversuchen. Und schließlich musste das aufwändige amtliche Zulassungsverfahren erfolgreich absolviert werden.
Trotzdem hat Forschung auch mit Glück zu tun…
Dr. Peter Lümmen: Das ist richtig, denn wir haben unsere Arbeit mit mehreren tausend Substanzen begonnen. Ein wenig Glück gehört also schon dazu. Ich will es mal so ausdrücken: Wahrscheinlich ist es eher das Glück des Tüchtigen. Denn um aus dieser Vielzahl zielgenau die beste Verbindung zu finden, müssen wir systematisch vorgehen. Dabei hilft uns modernste Technik. Immerhin vergehen von der ersten Synthese im Reagenzglas bis zur Markteinführung eines Pflanzenschutzmittels rund zehn Jahre und die Kosten liegen bei rund 200 Millionen Euro – da können wir uns kein Glücksspiel leisten.
Der südamerikanische Strauch Ryania speciosa enthält eine Substanz, die ähnlich wirkt wie Flubendiamide. Gibt es hier eine Konkurrenzsituation zum „Bio“-Insektizid?
Dr. Peter Lümmen: Die Substanz war tatsächlich eine zeitlang als Pflanzenschutzmittel auf dem Markt. Allerdings hatte sie einen entscheidenden Nachteil: Sie war auch giftig für Menschen, Vögel und Fische. Chemisch synthetisierte Stoffe können hingegen für die jeweiligen Anforderungen maßgeschneidert werden. Hier liegt der große Vorteil von unserem Wirkstoff.
Ihr neuer Wirkstoff gegen Schmetterlingsraupen ist jetzt in mehreren Ländern auf den Markt. Ist Ihr Job damit beendet?
Dr. Peter Lümmen: Keineswegs. Wir haben erst den Grundstein gelegt. Jetzt beginnt die Arbeit mit den Derivaten. Das sind abgeleitete Stoffe mit ähnlicher Struktur. Wir hoffen dabei weitere wirksame Mittel gegen andere Insektenarten zu finden. Diese sollen ebenso selektiv und schonend für Fauna und Umwelt sein wie Flubendiamide. Ein wichtiges Forschungsgebiet ist die Bekämpfung saugender Insekten wie beispielsweise Blattläuse. Eine andere Anwendung könnte die Nutzung als Saatgutbehandlungsmittel sein, um Pflanzen bereits im Keim- und Jugendstadium vor Insekten zu schützen.
 
        
                 
   
  