Die seit Kurzem in der EU als Nahrungsergänzungsmittel zugelassene Wunderbeere bindet an die Süßrezeptoren der Zunge und trickst sie aus. So wird dem Gehirn beim Essen und Trinken von Saurem ein süßer Geschmack signalisiert. Diese Wirkung ist nicht nur ein beliebter Party-Gag, sondern könnte auch Krebspatienten und Diabetikern helfen.
Miraculin bindet an Geschmacksrezeptoren
Die Wunderbeere (Synsepalum dulcificum) wird auch Mirakelfrucht genannt und ist ein immergrüner Strauch aus dem tropischen Westafrika. Seine roten Früchte, die etwa so groß wie Oliven oder Hagebutten sind, enthalten das Glykoprotein Miraculin. Diese Eiweiß-Zucker-Verbindung schmeckt zwar selbst nicht süß, kann aber sauren Früchten und anderen Lebensmitteln einen süßen Geschmack verleihen. In Afrika wird die Wunderbeere bereits seit dem 17. Jahrhundert als Lebensmittel verzehrt. Heute ist sie auch in anderen Kontinenten bekannt und wird hauptsächlich in China, Taiwan, den USA und Lateinamerika angebaut. In der EU sind die getrockneten Früchte der Wunderbeere seit 2021 als neuartiges Lebensmittel zugelassen. Das aus dem Presskuchen hergestellte Pulver darf in Nahrungsergänzungsmitteln für Erwachsene verwendet werden und ist auch in Tablettenform erhältlich.
Wunderbeeren tricksen Süßrezeptoren aus
Nach dem Kauen einer Wunderbeere oder einer daraus hergestellten Tablette schmecken Zitronen plötzlich zuckersüß. Wie kann das sein? Der Grund liegt in der Wechselwirkung des Miraculins mit den Süßrezeptoren der Zunge. Diese reagieren normalerweise nur auf Süßes. Im neutralen pH-Bereich bindet sich das Miraculin an die Rezeptoren und trickst sie aus, wenn Säure hinzukommt: Die Süßrezeptoren signalisieren dem Gehirn einen süßen Geschmack. Da die Geschmacksrezeptoren für „sauer“ gleichzeitig weiterarbeiten, bleibt ein leichter Säuregeschmack. Die Wirkung dauert mindestens eine Stunde lang an. Wer sie vorher loswerden möchte, kann einfach etwas Heißes essen oder trinken.
Nutzung der Mirakelfrucht
In ihrem Herkunftsland wird die Wunderbeere seit jeher dafür verwendet, den Geschmack bestimmter Speisen zu verbessern. Hierzulande sind die Tabletten eher ein Party-Gag. Beim sogenannten „Flavor Tripping“ gehen Menschen zusammen auf Geschmacksreise und haben Spaß daran, dass extrem Saures zeitweise süß und lecker schmeckt. Darüber hinaus könnte die Wunderbeere aber auch eingesetzt werden, um den metallischen Geschmack im Mund als Nebenwirkung einer Chemotherapie abzuschwächen. Zudem gab es in den USA bereits in den 1970er-Jahren Versuche, Miraculin als Süßstoff zu vermarkten. Neben dem guten Geschmack konnte sogar eine verbesserte Insulinsensivität nachgewiesen werden, sodass der Stoff gleich zwei Vorteile für Diabetiker hat. Allerdings wurde bis heute nur eine Zulassung als Nahrungsmittelzusatz erteilt, nicht als Lebensmittel.
Gesundheitliche Bewertung in Europa
Auch wenn vieles dafür spricht, dass die Wunderbeere nicht nur ungefährlich ist, sondern viele Vorteile hat, hat die Europäische Kommission das gefriergetrocknete Fruchtfleisch und die Schalen von entkernten Früchten gemäß Novel-Food-Verordnung nur für die Verwendung als Nahrungsergänzungsmittel für Erwachsene zugelassen. Es gilt eine Höchstmenge von 0,7 Gramm pro Tag. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, die die Unbedenklichkeit neuartiger Lebensmittel im Rahmen des Zulassungsverfahrens bewertet hat, rät Schwangeren und Stillenden in ihrer Stellungnahme, die Nahrungsergänzungsmittel vorsorglich nicht zu verwenden. Die betreffenden Produkte müssen deshalb einen entsprechenden Hinweis tragen. Die Fachleute der EFSA hatten außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass die Mirakelfrucht Kreuzallergien auslösen kann. Das gilt insbesondere für Personen, die allergisch auf Erdnüsse reagieren. Bei der Vermarktung von Wunderbeere-Produkten darf lediglich auf die geschmacksverändernde Wirkung abgezielt werden, nicht auf gesundheitliche Aspekte.
Wunderbeere selbst anbauen
Der immergrüne Wunderbeer-Strauch wird in seiner Heimat bis zu 4 Meter hoch. Als Zimmer- oder Kübelpflanze bleibt er kleiner und kann auch in Deutschland kultiviert werden. Saatgut oder Jungpflanzen sind meist über Online-Shops erhältlich. In den warmen Monaten kann die Pflanze an einem geschützten, sonnigen oder halbschattigen Standort auf der Terrasse oder dem Balkon stehen. In der restlichen Zeit empfiehlt sich ein warmer Platz mit hoher Luftfeuchtigkeit, zum Beispiel im Wintergarten oder Gewächshaus. Bis zur ersten Ernte ist ein wenig Geduld gefragt: Aus Samen gezogene Pflanzen blühen erst nach drei oder vier Jahren.
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