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Dr. Claus Albrecht mit einem Insektenkäscher. Damit fängt man die wirbellosen Tiere aus der Gras- und Krautschicht, z. B. Käfer, Heuschrecken, Spinnen, Wanzen, Zikaden..Foto: Matthias Wiedenau
10.02.2006
Umwelt & Verbraucher

Artenschutz und Landwirtschaft – wie geht beides?

Nichts ist beständiger als der Wandel. Das gilt auch für das Vorkommen von Pflanzen- und Tierarten

Landwirte und Naturschützer ziehen immer öfter an einem Strang. Denn Praxiserfahrung und wissenschaftliche Studien belegen, dass intensive Landwirtschaft und Artenschutz miteinander vereinbar sind. „Voraussetzung dafür sind vielfältige landwirtschaftliche Strukturen, die den verschiedenen Pflanzen- und Tierarten außerhalb der Produktionsflächen Lebensraum bieten“, sagt Dr. Claus Albrecht vom Kölner Büro für Faunistik. Die Praxis im Artenschutz zeigt, dass die ehemaligen Kontrahenten zu Partnern werden können - wenn beide Seiten fair miteinander umgehen. Doch nicht nur die Landwirtschaft wirkt auf die Flora und Fauna ein. Klimawandel und weltweiter Handel sorgen für Artenverschiebungen.

Landwirtschaft und Biodiversität

Aktuelles Beispiel für ein Miteinander von Natur und Landwirtschaft ist das Projekt „Ostfriesland aktiv für Natur und Landwirtschaft“. Darin arbeiten Landwirte, der Naturschutzbund Ostfriesland und die Landwirtschaftskammer Weser-Ems zusammen. Es geht unter anderem darum, in Vogelschutzgebieten und auf Grünland umweltschonend zu wirtschaften und die für die Region typischen Wallhecken weitestgehend zu schonen. Die Landwirte werden für ihr Mitwirken erfolgsabhängig honoriert.

Hecken, Windschutzpflanzungen, Kraut- und Blühstreifen, Feldraine, Brachen oder Gewässer spielen auch eine Hauptrolle in der 2005 erschienenen Studie „Landwirtschaft und Biodiversität“. Darin bezeichnen Dr. Wolfgang Heyer und Prof. Olaf Christen, Universität Halle/Wittenberg, solche Strukturelemente als „Störungsprofile“. Je vielfältiger sie die einheitliche ackerbauliche Nutzung durchbrechen, desto größer wird die Artenvielfalt. Die Autoren sind sich aber bewusst, dass Artenschutz mit seinem Flächen- und Pflegeanspruch häufig dem eigentlichen landwirtschaftlichen Ziel der Nahrungsmittelproduktion zuwider läuft. Daher müssten diese Maßnahmen über staatliche Agrarumweltprogramme finanziert werden.

WWF: Überholte Denkmuster

Auch wenn über Schutzmaßnahmen versucht wird, den Status quo bei der Artenvielfalt aufrecht zu erhalten, so gibt Josef Reichholf, Präsidiumsmitglied des World Wildlife Fund (WWF), zu bedenken: „Die Natur ist dynamisch, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht.“ Er wendet sich damit gegen überholte Denkraster, in denen es genau ein definiertes Gleichgewicht im Naturhaushalt gibt. Die Artenzusammensetzung ändert sich permanent. Und dafür sind Mensch und Natur gleichermaßen verantwortlich.

Bestes Beispiel ist der enorme Artenzuwachs seit Ende der letzten mitteleuropäischen Eiszeiten vor 18 000 Jahren. Der Geobotaniker Professor Rainer Lösch von der Universität Düsseldorf schätzt, dass allein die Zahl der Blütenpflanzen in Mitteleuropa von ca. 100 auf aktuell rund 2 500 gestiegen ist. Anhand von Pollenanalysen konnte festgestellt werden, dass die vorherrschende Vegetation sich permanent gewandelt hat. Nach Tundrenvegetation folgten lichte Birkenwälder und Haselbüsche. Dann kam die Zeit der Eichen und Linden. Erst vor 4 000 Jahren sind die Buchen über die Burgundische Pforte und den Donauraum nach Deutschland eingewandert. Würden hierzulande Äcker, Grünland und Siedlungsflächen sich selbst überlassen, wären zwei Drittel Deutschlands von einem relativ artenarmen Buchenwald bedeckt.

Neophyten drängen nach Mitteleuropa

Alle seit 500 Jahren eingewanderten Pflanzenarten bezeichnet man als Neophyten. Die Entdeckung Amerikas forcierte die Artenzuwanderung. Prominente Beispiele sind die Kartoffel und der Mais. Weltweiter Handel und Tourismus taten ihr Übriges. So stieg der Anteil der Neophyten an der Gesamtartenzahl in Mitteleuropa von 10 Prozent zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf 17 Prozent in der heutigen Zeit. Eingewandert sind zum Beispiel Engelstrompete, Hanf und Schlafmohn. Häfen bilden oft die „Brückenköpfe“ der Kolonisierung durch einwandernde Pflanzen. Der Temperaturanstieg um 0,8°Celsius in den letzten 50 Jahren fördert zudem die Verbreitung von Pflanzen aus subtropischen Regionen. So konnten beispielsweise das konkurrenzstarke Drüsige Springkraut und das Südafrikanische Greiskraut erfolgreich Fuß fassen.