rindenfrass-der-larve-des-prachtkaefers-an-der-eberesche-links-im-ausschnitt-rechts.jpeg
Rindenfraß der Larve des Prachtkäfers an der Eberesche (links), im Ausschnitt (rechts). Quelle: Prof. Balder
20.12.2005
Forschung & Technik

Nützlinge an Stadtbäumen - eine Zukunftsvision?

In Design-Anlagen, wie im Berliner Sony-Center, können auch mit dem Freilassen von Nützlingen durch kompetente Gärtner Schädlinge bekämpft werden.

Stadtbäume haben einen hohen Wert für ihre privaten und öffentlichen Besitzer. An ihren Standorten sind sie aber meist zahlreichen Stressfaktoren ausgesetzt, die ihr gesundes Wachstum behindern. Hierzu zählen insbesondere die wenig standortgerechte Pflanzung, Pflanz- und Pflegefehler, Bodenverdichtungen und –versiegelungen, Nährstoff- und Sauerstoffmängel sowie Schadstoffbelastungen. Hinzu kommen zahlreiche Schaderreger, die ihre Wirtspflanzen schwächen und durch gestörte natürliche Gleichgewichte verstärkt auftreten. Prof. Dr. Hartmut Balder, Technische Fachhochschule Berlin, weist darauf hin, dass die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln angesichts des städtischen Lebens im Umfeld der Bäume problematisch ist. Es fehle an ausgereiften Ausbringungstechniken, insbesondere übers Blatt von Großbäumen. Bestimmte Pflanzenschutzmittel (Rotofix-Verfahren) werden im Stadtgrün nur zur Wildkrautkontrolle und in Rosenrabatten eingesetzt. Deshalb könne die Bedeutung von Nützlingen größer werden, so Balder. Im Berliner Sony-Center konnte mit Raubmilben problemlos die schädigende Lindenspinnmilbe kontrolliert werden.

Grünanlagen und Stadtbäume werden ständig von Hauseigentümern und Wohnungsbaugesellschaften oder kommunalen Gartenbauämter gepflegt. Neben ästhetischen und funktionalen Aspekten, dürfen die Bäume nicht die Verkehrssicherheit gefährden. Schaderreger, die sie beeinträchtigen können, sind u. a. rindenbrütende Insekten, die Totäste produzieren sowie holzzerstörende Pilze, die die nach Wundsetzung das Bauminnere aubbauen. Eingriffe in den Baum selbst oder sein Umfeld wirken sich zwangsläufig auf die lokale Fauna aus. Dies gilt gleichermaßen für Schädlinge und Nützlinge. Im Schadensfall zielen - analog zum Gartenbau sowie zur Land- und Forstwirtschaft - Pflanzenschutzmaßnahmen darauf ab, den Schaden zu begrenzen. Aktuell wird aber deutlich, dass bei der Massenvermehrung von Problemschädlingen, z. B. der Kastanienminiermotte Cameraria ohridella, der Wolligen Napfschildlaus Pulvinaria regalis oder Prachtkäfern Agrilus spec., derzeit nur eingeschränkt geeignete Methoden der Bekämpfung an Stadtbäumen zur Verfügung stehen. Alternativen sind daher gefragt.

Im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie bezieht der moderne Pflanzenschutz heute gezielt in vielen Kulturen integrierte Anbausysteme ein, also natürliche Regulationsmechanismen. Vielfach können Schädlinge schon unterhalb einer ökonomisch noch vertretbaren Schadensschwelle gehalten werden, wenn man ihre Gegenspieler schont und fördert. Dies ist möglich geworden, weil man immer mehr über ihre natürliche Verbreitung in den unterschiedlichen Lebensräumen und ihre Bedeutung sowohl für die ökologische als auch die konventionelle Pflanzenproduktion weiß. Die natürliche Schädlingskontrolle wurde nicht nur in den Gewächshäusern im Gartenbau intensiv untersucht, sondern insbesondere auch im Obst- und Weinbau. So konnte die Wirkung der Nützlinge unter Freilandbedingungen belegt werden. Auch ihre Verbreitung im städtischen Raum wurde untersucht und festgestellt. Gerade naturnahe Pflanzengesellschaften ohne ökonomische Zwänge eignen sich gut, um auch biologische Pflanzenschutzmaßnahmen im Stadtgrün grundsätzlich anzubieten.

Das Spektrum von Nützlingen in der Stadt

ist größer als vermutet. Sogar an extremen Standorten, wie Hauptverkehrsstraßen, trifft man viele von ihnen an. Die nachgewiesenen Arten kommen an zahlreichen Baumarten vor. Raubmilben finden sich beispielsweise ganzjährig in allen Bereichen der Laubkronen, sogar im Winter in den Knospen, unter der Rinde oder unter abgestorbenen Schildlausschilden. Klassische Beutefolger wie Marienkäfer, Florfliegen, Wanzen und Schwebfliegen treten erst bei entsprechendem Nahrungsangebot auf und nehmen mit zunehmender Populationsdichte ihrer Beutetiere zu.

Zahlreiche Nützlinge besiedeln bereits Jungbäume. Altbäume scheinen jedoch der attraktivere Lebensraum zu sein, da sich hier bessere Unterschlupfmöglichkeiten bieten. Begrünte Nebenstraßen und Parkstandorte zeigen qualitativ eine bessere Besiedlung als verkehrsbelastete, versiegelte und baumartenarme Hauptstraßen. Stadtgröße, Stadtstruktur und Region haben auf die Nützlingsausstattung von Stadtbäumen nach bisherigem Kenntnisstand allerdings nur geringen Einfluss. Vielmehr sind es die einzelnen lokalen Faktoren, die sich unmittelbar aus dem Standort ergeben, u.a. Mikroklima, Futterangebot und Versteckmöglichkeiten.

Noch besteht großer Forschungsbedarf,

wie das Vorkommen von Nützlingen an städtischen Standorten gezielt verbessert werden kann. Aber es gibt auch schon erste Empfehlungen. So können Nahrungssituation oder Winterversteckmöglichkeiten schon dadurch verbessert werden, dass man z. B. blühende Pflanzen im Baumumfeld anpflanzt und Falllaub oder tote Äste länger im Baumumfeld belässt. Auch das gezielte Aussetzen von Nützlingen aus Zuchten oder von bereits in der Baumschule mit Nützlingen besetzten Pflanzen ist möglich. Eine Chance, dass Nützlinge schon zu ihrem späteren Standort mitgebracht werden. Ebenso verbessern gestalterische Maßnahmen im Umfeld der Bäume das Mikroklima. All diese Ansätze bedürfen einer intensiven innovativen Forschungsarbeit, um für die Praxis sichere und akzeptable Maßnahmen anzubieten. Nur eine Vision? Nein, qualifizierte Grün- und Stadtplaner sollten diese Möglichkeiten schon jetzt vorsehen.
Noch besteht großer Forschungsbedarf,