Es ist die zentrale Herausforderung für die Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts, die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, die hochwertig und zugleich für alle erschwinglich sind. Es ist Teil der Herausforderung, dass die Landwirtschaft dies vor dem Hintergrund eines globalen Klimawandels meistern muss und ihr für die zusätzlich zu produzierenden Lebens- und Futtermittel nur sehr begrenzt neue Agrarflächen zur Verfügung stehen.
Einleitung
Wir benötigen eine weitere Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität – und zwar überall auf der Welt. Eine flächendeckende Minderung der hohen landwirtschaftlichen Produktivität in Europa würde die globalen Versorgungsprobleme nur verschärfen, da auf globalisierten Agrarmärkten der Bedarf unweigerlich durch Importe gedeckt würde. Um die Welt zu ernähren, müssen auch in Europa die Erträge weiter steigen.
Auch die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat bei einer Anhörung verschiedener Interessenvertreter zum Thema Schutzziele bei der Bewertung der Umwelteinflüsse von Pflanzenschutzmitteln im April 2010 zum Ausdruck gebracht, dass eine Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft in Europa unumgänglich ist. Gerade deshalb, so die EFSA, müssen zukünftig Anstrengungen unternommen werden, einen unvertretbaren Einfluss der Landbewirtschaftung auf die Biodiversität[1] zu verhindern.
Eine hoch produktive Landwirtschaft ist mit dem Erhalt der Biodiversität durchaus vereinbar. Dies erfordert aber ein koordiniertes Landschaftsmanagement mit Maßnahmen, die die Anforderungen beider Zielsetzungen – sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln einerseits und Schutz der Ökosystem- und Artenvielfalt andererseits – integrieren.
Dieses Papier will einen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen zum Thema Landwirtschaft und Biodiversität leisten und Vorschläge zur weiteren Behandlung des Themas unterbreiten.
Zu den modernen landwirtschaftlichen Methoden, die in der Öffentlichkeit oft mit dem Rückgang der Artenvielfalt in Verbindung gebracht werden, zählt der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln. In der Wissenschaft ist die Aussagekraft jüngerer Studien, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Pflanzenschutz und dem Rückgang der Artenvielfalt belegen wollen, stark umstritten. Aus Sicht der Pflanzenschutzindustrie ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise gefragt, um die Diskussion auf eine sachliche Grundlage zu stellen.
In der Agrar- und Pflanzenschutzpolitik braucht es nach Auffassung des IVA daher rasch
- einen klaren konzeptionellen Rahmen für aufeinander abgestimmte Maßnahmen in einem integrativen Landschaftsmanagement;
- die Fortsetzung effektiver und schnell realisierbarer Maßnahmen zum Erhalt der Agrobiodiversität wie z. B. Ackerrandstreifen, Insekten- und Bienenweiden;
-
ein geeignetes Bewertungsinstrumentarium zur Evaluierung der einzelnen landwirtschaftlichen Einflussfaktoren und der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen.
Biodiversität und Landwirtschaft
Die ureigene Zweckbestimmung jeder Landwirtschaft ist es, natürliche Ökosysteme zu Gunsten von Nutztieren und Kulturpflanzen zu beeinflussen. Der Landwirt nimmt einen Teil der Landschaft in Anspruch, indem er sie durch Bodenbearbeitung, Aussaat, Aufwuchs und Pflege von Nutzpflanzen kultiviert. So entsteht ein Agrarökosystem mit spezifischem Arteninventar, das an die Umwelt- und Bewirtschaftungsverhältnisse national und regional sehr unterschiedlicher Landschaftsräume angepasst ist. Diese Lebensgemeinschaften unterliegen einer oft hohen Dynamik, einerseits bedingt durch sich wandelnde Anforderungen an die Landwirtschaft (z. B. Produktionssteigerungen), andererseits durch neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden (z. B. Fruchtfolgen, Sorten von Kulturpflanzen, neue Pflanzenschutztechnologien). Mit diesen Veränderungen ändern sich auch die Lebensgemeinschaften der Agrarlandschaften. Dies zeigt sich besonders dann, wenn traditionelle oder historische Bewirtschaftungsformen erhalten werden müssten, um spezielle Arten oder Lebensgemeinschaften zu schützen, die an diese Bewirtschaftungsformen angepasst sind.
Besonders starken Einfluss auf die Biodiversität haben Bodenbearbeitung und Ernte, die kurzfristig grundlegende Veränderungen der Umweltverhältnisse und Habitateigenschaften zur Folge haben. Im Vergleich dazu ist die Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln, die so häufig im Fokus von Umweltdiskussionen steht, ein eher geringer Eingriff. Selbstverständlich haben auch chemische und nicht-chemische Pflanzenschutzmaßnahmen einen Einfluss auf Pflanzen und Tiere in den Agrarflächen – es wird ja der Bestand an Unkräutern und Schädlingen auf dem Feld gewollt reduziert. Die biologische Wirkung der Pflanzenschutzmittel, d. h. auch die Nebenwirkung im Naturhaushalt, wird jedoch im Rahmen der Zulassungsstudien intensiv geprüft und bewertet. Nur wenn keine unvertretbaren Auswirkungen zu erwarten sind, darf ein Pflanzenschutzmittel in einem streng definierten Rahmen angewandt werden.
Unabhängig von Pflanzenschutzmaßnahmen sind Agrarökosysteme keine statischen, sondern höchst dynamische Systeme. Seit Jahrhunderten sind oft tiefgreifende und schnelle Veränderungen charakteristisch für Kulturlandschaften, eine Dynamik, die es auch in Zukunft geben wird. Damit geht eine Veränderung des Arteninventars einher: Bestimmte Arten der früheren Kulturlandschaft werden reduziert oder verschwinden und werden durch andere Arten verdrängt oder ersetzt. Großflächige Landbewirtschaftung kann ohne eine zielgerichtete Landschaftsgestaltung zu einem Verlust von Landschaftsheterogenität und damit zu einer Abnahme der Artenvielfalt führen.
Durch ein integriertes Landschaftsmanagement-Konzept kann allerdings die erforderliche biologische Vielfalt eines Landschaftsraumes wirksam gesichert werden. Denn der Erhalt der ökologischen Funktion eines Landschaftsraumes ist die Grundlage einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktivität.
Die Vielfältigkeit lebender Organismen, die die ökologische Funktion eines Landschaftsraumes sicherstellt, wird „funktionelle Biodiversität“ genannt. Der Schutz dieser Elemente der biologischen Vielfalt liegt im elementaren Interesse der Landwirtschaft und ist deshalb beispielsweise im Rahmen der Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel berücksichtigt.
Der nachhaltige Schutz funktioneller Biodiversität ermöglicht
- den Erhalt der Bodenstruktur, -funktion und –fruchtbarkeit,
- die Bestäubung der Kulturpflanzen,
- den Erosionsschutz,
- den Nährstoffkreislauf,
- die Kontrolle der Wasserbewegung und –verteilung,
- den Schutz des natürlichen Schädlingsregulationspotenzials.
Die meisten Organismen, die die funktionelle biologische Vielfalt gewährleisten, sind klein und unauffällig. Trotzdem stellen sie, quantitativ betrachtet, bei Weitem die Mehrheit allen organischen Lebens. Das verdeutlicht, dass der Erhalt der biologischen Vielfalt insbesondere funktionale Aspekte der Biodiversität einbeziehen muss und nicht einseitig auf einzelne, attraktive „charismatische“ Arten abzielen darf, die für die grundlegenden Aspekte der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft nicht elementar sind.
Biodiversität in der Agrar- und Pflanzenschutzpolitik
1. Erhalt der Biodiversität braucht klaren konzeptionellen Rahmen
Angesichts der steigenden Weltbevölkerung und damit einer absehbaren, global dramatisch zunehmenden Nachfrage nach Agrargütern, der Veränderungen des Klimas und zunehmender globaler Wasserknappheit, steht auch die europäische Landwirtschaft vor neuen Herausforderungen. Landwirte müssen ihre Erträge steigern und dabei ihre Kulturen vor neuen Schadorganismen, die infolge der Klimaerwärmung oder als „Invasoren“ zuwandern, schützen.
Vor diesem Hintergrund müssen Zieldefinitionen und Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität auf ein breites, tragfähiges Fundament gestellt werden. Dazu ist ein klarer konzeptioneller Rahmen notwendig. Sein zentrales Anliegen muss es sein, die Landwirtschaft in die Lage zu versetzen, auf die neuen Herausforderungen reagieren zu können. Gezieltes Management ist nötig, um erstens den Erhalt der funktionellen Biodiversität zu gewährleisten und zweitens die Tier- und Pflanzenarten einer Kulturlandschaft sowie deren landschaftliche Eigenart zu schützen.
Für diesen zweiten Aspekt sind in einer gesellschaftlichen Debatte Ziele zu definieren und Mittel für deren Umsetzung bereitzustellen. Ein großflächiges „zurück zu“ traditionellen oder historischen Bewirtschaftungsformen erfüllt diese Anforderungen aus Sicht des IVA nicht. Der Landwirt unterliegt beim Einsatz effizienzsteigernder Techniken ökonomischen Zwängen. Kulturen, die in früheren Fruchtfolgen ihren Platz hatten, finden heutzutage keine Abnehmer mehr.
Aber für den Erhalt der Biodiversität in einer Landschaft, in der moderne, nachhaltige Landwirtschaft betrieben wird, ist ein Instrumentarium an Maßnahmen vorhanden. Die fachliche Basis kann als etabliert angesehen werden („Biotopmanagement“). Der IVA ist der Meinung, dass moderne Landwirtschaft und Schutz der Biodiversität dadurch miteinander zu vereinbaren sind. Wichtig ist, dass alle Maßnahmen von einem abgestimmten Konzept getragen werden und eingepasst sind in ein koordiniertes, integratives Landschaftsmanagement.
2. Mit effektiven, schnell realisierbaren und pragmatischen Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität beitragen
Ein erstes großes Paket an Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität könnte darin bestehen, bereits vorhandene, aber nicht landwirtschaftlich genutzte Flächen (wie z. B. Wegränder, Feldraine, Bahnböschungen) gezielt und verstärkt in Förderprogramme einzubinden. So könnte z. B. die Bepflanzung solcher Flächen mit Hecken oder die Anlage von Blühstreifen oder die Biotopvernetzung durch Gewässerrandstreifen gefördert werden. Durch beispielgebende Projekte wie „Bienenweiden“ wurde gezeigt, dass solche Umwelt- und Naturschutzaktionen bei den Landwirten große Akzeptanz finden. Durch sie kann viel getan werden, um die Nahrungssituation für bestäubende Insekten zu verbessern.
Darüber hinaus stehen schon heute im Rahmen der Agrarumweltprogramme, des Vertragsnaturschutzes und privater Maßnahmen Instrumente zur Verfügung, die zum Erhalt der Biodiversität beitragen. Diese Aktivitäten sind aus Sicht des IVA begrüßenswert. Es ist aber darauf zu achten, dass solche Vorschläge attraktiv für teilnehmende Landwirte sind und eine hinreichende Finanzausstattung der Programme gesichert wird. Dies darf allerdings nicht zu Lasten einkommenssichernder und die Bereitstellung öffentlicher Güter pauschal entlohnender Maßnahmen gehen, die einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung darstellen.
Weitergehende Konzepte, die massiv in die Eigentumsrechte von Landeigentümern und Landbewirtschaftern eingreifen, sollten erst dann ins Auge gefasst werden, wenn klar und eindeutig erkannt wurde, dass Schritte, die über die oben genannten Maßnahmen hinausgehen unabdingbar für die Zielerreichung einer nachhaltigen Landbewirtschaftung sind.
3. Pflanzenschutzpolitik und Biodiversität
Am 25. November 2009 trat die Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden („Rahmenrichtlinie“) in Kraft. Die Rahmenrichtlinie ist nun von den Mitgliedsstaaten national umzusetzen. Dabei muss u. a. ein nationaler Aktionsplan erarbeitet werden. Darüber wird zur Zeit breit und unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen diskutiert.
Das Thema Biodiversität spielt bisher unter zwei Gesichtspunkten eine Rolle: Zum einen in der Überlegung, ein Teilziel „Erhöhung der Biodiversität in der Agrarlandschaft“ in den nationalen Aktionsplan zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln aufzunehmen, zum anderen in einer Indikator-Funktion zur Messung eines solchen Teilzieles. Der Entwicklung solcher Teilziele und der entsprechenden Indikatoren steht der IVA aus folgenden Gründen kritisch gegenüber:
Der Einfluss des chemischen Pflanzenschutzes auf die Biodiversität ist im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Einflussfaktoren gering. Die Einflüsse von Pflanzenschutzmitteln auf den Naturhaushalt sind besser durch Daten und Risikobetrachtungen belegt als die Vielzahl anderer Einflussparameter wie Fruchtfolgeänderungen und mechanische Bodenbearbeitung. Deshalb können Ziele und Indikatoren zu Pflanzenschutz und Biodiversität auch nur dort eine Rolle spielen, wo eindeutige Zusammenhänge des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und Biodiversität hinreichend klar und signifikant sind.
Biodiversität ist nicht direkt messbar – die Vielfalt der Organismen und Lebensgemeinschaften ist einfach zu groß. Es gibt eine nennenswerte Anzahl von „Biodiversitäts-Indikatoren“, die den Anspruch erheben, indirekt Aussagen über die Biodiversität einer Landschaft zu ermöglichen. Ein Beispiel ist der Vogelindikator, der zwar Möglichkeiten bietet, aber auch klare Begrenzungen hat. Um die Wirkung von Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität bewerten zu können, sollte versucht werden, die Basisdaten mit Hilfe von Indikatoren zahlenmäßig zu erfassen. Der IVA schlägt vor, im ersten Schritt in geeignet besetzten Workshops zu prüfen, welche der bereits existierenden Indikatoren zielgerichtet eingesetzt werden können.
Der IVA unterstützt im Grundsatz das Ziel, eine hohe Biodiversität in der Agrarlandschaft anzustreben. Wenn jedoch im Eckpunktepapier zum Fachworkshop des BMELV im Juni 2009 die „Erhöhung der Biodiversität in der Agrarlandschaft“ als Ziel formuliert ist, so sollten in diesem Zusammenhang auch die folgenden Fragen besprochen werden:
- Innerhalb welcher Zeit möchte man das Ziel erreichen?
- Verstehen alle am Diskussionsprozess Beteiligten das Gleiche unter Biodiversität?
- Wie ist es derzeit um die Biodiversität bestellt?
- Wie sollen Veränderungen gemessen werden und welche Maßnahmen schützen die Biodiversität vor unvertretbaren negativen Veränderungen?
Nach Ansicht des IVA sollte die Einigung auf ein geeignetes Bewertungsinstrumentarium Vorrang haben, da sonst der jetzige Status und auch Veränderungen in keiner Weise beurteilt werden können.
Frankfurt, 20. September 2010
[1] Die biologische Vielfalt (kurz Biodiversität) umfasst die Vielfalt der Ökosysteme, die Vielfalt der Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Zu den Biodiversitätsfunktionen gehört die Regulierung des Klimas und des Wasserhaushaltes sowie die Bodenbildung. Damit ist die Biodiversität zugleich eine unentbehrliche Grundlage des menschlichen Lebens. Ihre Bestandteile liefern die erforderlichen Lebensmittel und viele andere Produkte zur Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen.
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