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Blühstreifen tragen dazu bei, die Artenvielfalt in Agrarlandschaften zu erhalten. Foto: pixelio.de
15.12.2010
Umwelt & Verbraucher

Artenschutz und moderne Landwirtschaft – in Deutschland geht das zusammen

Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya verabschiedet 20-Punkte-Programm zur Biodiversität.

Ende Oktober 2010 verabschiedete die UN-Konferenz zum Erhalt der biologischen Vielfaltim japanischen Nagoya ein Zwanzig-Punkte-Programm zur Erhaltung der Biodiversität. Auch Deutschland hat das Abkommen unterzeichnet. Ergebnisse und Konsequenzen für die deutsche Landwirtschaft erläutert der Biologe Dr. Claus Albrecht vom Kölner Büro für Faunistik.

Herr Dr. Albrecht, Sie befassen sich bereits seit Jahren mit dem Thema Biodiversität. Wie bewerten Sie die Situation in Deutschland?

In den letzten Jahrhunderten ist die ursprüngliche Naturlandschaft fast vollständig in eine Kulturlandschaft umgewandelt worden. Dem Artenreichtum hat das nicht geschadet, im Gegenteil, er hat sich dadurch erhöht. Die natürliche Vegetation ist in den meisten Regionen ein Laubwald mit einer mittleren Artenvielfalt. Einige Arten sind durch die Kultivierung der Landschaften zurückgedrängt worden, etwa die großen Wildtiere der Wälder wie Elch, Braunbär oder Wildpferd. Andere Arten haben sich dagegen ausgebreitet oder sind durch die neu entstehenden Landschaften erst eingewandert wie Kornblume, Klatschmohn, Rote Taubnessel oder Großer Brachvogel, Feldlerche oder der Feldhase. Der eigentliche Grund für das Verschwinden der großen Wildtiere ist nicht der Lebensraumverlust durch Bewirtschaftung sondern die direkte Verfolgung durch den Menschen. In Deutschland hat also erst die Kultivierung der Landschaft günstige Voraussetzungen für eine höhere Artenvielfalt geschaffen. Die Biodiversität, also die Vielfalt der Arten und Ihrer Lebensräume befindet sich in stetem Wandel. Die Reise- und Handelstätigkeit des Menschen, fortschreitende Veränderungen der Lebensbedingungen und eventuell auch der Klimawandel bewirken, dass immer wieder neue Arten bei uns einwandern.  

Passen Landwirtschaft und Artenvielfalt überhaupt zusammen?

Ja, beides geht gleichzeitig. Das haben wir vom Kölner Büro für Faunistik bereits in mehreren Untersuchungen nachgewiesen. Grundsätzlich will jeder Landwirt – egal ob ökologisch oder konventionell – auf seinen Flächen guteErträge erzielen. Dafür werden Kulturen angebaut und geerntet. Dies steht aber zunächst im Widerspruch zu den Lebensraumansprüchen vieler Arten. Einige verlieren durch die Ernte ihre Verstecke und ihre Nahrungsgrundlage. Gerade diese Arten brauchen neben bewirtschafteten Flächen Rückzugsräume. Kraut- und Blühstreifen, Feldgehölze und -raine, Gräben, Feuchtwiesen oder Trockenrasen sind daher schutzwürdige Begleitbiotope.Darüber hinaus trägt eine nachhaltige Landwirtschaft zum Artenschutz bei, wenn sie verschiedene Kulturen im Fruchtwechsel anbaut, Dünger bedarfsgerecht einsetzt und selektiv wirkende Pflanzenschutzmittel nutzt, also die Schaderreger zurückdrängt, aber Nützlinge schont, kurz wenn sie den Leitgedanken zum integrierten Pflanzenbau folgt. 

Haben die Nagoya-Beschlüsse direkte Konsequenzen für Deutschland?

Auch Deutschland hat das Nagoya-Abkommen unterzeichnet. Die darin geforderten geschützten Flächenanteile erreichen wir nicht in allen Regionen. Deshalb werden die zuständigen Behörden voraussichtlich zusätzliche Schutzgebiete ausweisen. Davon wird vor allem die Landwirtschaft betroffen sein. Weitere Bewirtschaftungsauflagen und -beschränkungen sind wahrscheinlich.  

Wie wichtig ist denn der Artenschutz für uns?

Das ist eine gute Frage, die sich nicht in Zahlen fassen lässt. Biodiversität ist eng mit Nachhaltigkeit verbunden. Wir haben eine ethische Verantwortung für die Schöpfung. „Nach uns die Sintflut“ – kann kein Zukunftsmodell sein. Wir brauchen eine artenreiche Natur, zum Beispiel um Arzneimittel nach dem Vorbild von Wildpflanzen zu entwickeln. Auch Tier- und Pflanzenzüchter bedienen sich auf der Suche nach besonderen Eigenschaften gerne im riesigen Genpool der vielfältigen Natur.  

Wie sind die Ergebnisse der UN-Konferenz aus Ihrer Sicht zu bewerten?

Nagoya wird allgemein als Erfolg gewertet. Nach meiner Meinung bleibt aber abzuwarten, ob und wie die Teilnehmerstaaten tatsächlich das 20-Punkte-Programm bis zum Jahr 2020 umsetzen werden. Das Ziel ist ehrgeizig: Der Artenschwund soll bis dahin gestoppt werden. Dafür setzt die Staatengemeinschaft unter anderem auf Nachhaltigkeit in Land- und Forstwirtschaft sowie in der Aquakultur. Gleichzeitig sollen die weltweit geschützten Landflächen von 12,5 auf 17 Prozent vergrößert werden. Und statt ein Prozent sollen nun zehn Prozent der Weltmeere einen Schutzstatus erhalten. 

Wie steht es tatsächlich um die Biodiversität?

Nach seriösen wissenschaftlichen Studien gelten beispielsweise weltweit 25 Prozent der Wirbeltiere und 40 Prozent der Amphibien zumindest als gefährdet. Momentan liegt die Aussterberate rund 20 bis 30 mal höher als ohne menschlichen Einfluss. Wenn extrem artenreiche Lebensräume wie tropische Urwälder oder Korallenriffe immer weiter schrumpfen, geht das zu Lasten des Artenreichtums. Jagd und Fischfang wirken sich ebenso negativ aus, wenn sie unkontrolliert ausgeübt werden. Der Klimawandel betrifft besonders die empfindlichen Lebensgemeinschaften, zum Beispiel Korallenriffe, die bereits bei geringen Temperaturerhöhungen absterben können. Andere Arten gehen auf Wanderschaft: Höhere Durchschnittstemperaturen in Mitteleuropa lösen Artenverschiebungen von Süd nach Nord aus.

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