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26.02.2010

Pflanzenschutz, Biodiversität und die Produktion von Nahrungsmitteln - Stellungnahme zur Bewertung von Pflanzenschutzmitteln

Braunschweig - Deutsche Phytomedizinische Gesellschaft e. V. (DPG) - Weltweit werden etwa zwei Drittel der Ernten durch Unkräuter, Schadinsekten und Schadpilze bedroht. Durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wird etwa die Hälfte dieser Schäden abgewendet. Da eine Ausweitung der Ackerfläche weltweit nicht möglich ist und die Nachfrage nach Nahrungsmitteln dramatisch ansteigt, steht die Landwirtschaft vor der großen Herausforderung, die Produktivität pro Fläche zu steigern und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Es steht außer Zweifel, dass dem Welthungerproblem nur durch eine konsequente Anwendung moderner Anbaumethoden wirksam begegnet werden kann.

In einem kürzlich erschienenen Artikel von F. Geiger et al. (Basic and Applied Ecology, 2010) wird die Behauptung aufgestellt, Pflanzenschutzmittel seien ein Hauptgrund für die Verminderung der Artenvielfalt in Europa. In der Untersuchung wurde in acht Ländern Mittel- und Osteuropas vorwiegend auf Weizenfeldern die Diversität von Laufkäfern, Unkräutern, bodenbrütenden Vogelarten und die Aktivität von Blattlausfeinden ermittelt und mit der Intensität der Bewirtschaftung verglichen. Die Daten wurden nur einjährig und über sehr kurze Zeiträume erfasst. Erwartungsgemäß ergibt sich, wie bereits aus der Literatur bekannt, eine generell entgegen gerichtete Beziehung zwischen ökologischen Parametern und Ertragshöhe. Die Autoren leiten allein von diesen Biodiversitätseffekten die pauschale Forderung nach einem minimalen Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln in Europa ab.

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann aber nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Biodiversität bewertet werden, denn die Landwirtschaft hat zuerst eine Produktionsfunktion. Die weltweite Getreideproduktion hat sich seit 1960 bei gleich bleibender Anbaufläche mehr als verdoppelt und konnte so annähernd mit der gleichzeitig auf das Doppelte angewachsenen Weltbevölkerung Schritt halten. Diese bemerkenswerte Leistung wäre ohne  Ertragssteigerungen durch moderne Produktionsmethoden wie Hochleistungssorten und Einsatz von Düngern und Pflanzenschutzmitteln nicht denkbar. Das Beispiel belegt die herausragende Wohlfahrtsfunktion moderner Methoden der Pflanzenproduktion.

Pflanzenschutzmittel sind aber nicht nur wichtig zur Sicherung hoher Erträge, sondern auch, um die Bildung von toxischen Substanzen durch Schimmelpilze wie Mykotoxine zu verhindern. Unter anderem deshalb ist die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Nahrungsmittelproduktion in Mitteleuropa heute so hoch wie nie zuvor. Die diesjährige Deutsche Pflanzenschutztagung in Berlin, mitveranstaltet durch die DPG, greift diesen Aspekt in ihrem Motto „Gesunde Pflanzen – gesunde Menschen“ vielfältig auf.

Pflanzenschutzmittel unterliegen strengsten Zulassungsvoraussetzungen und gewährleisten dadurch eine hohe Anwendersicherheit. Gleichzeitig hat das Risiko der Applikation von Pflanzenschutzmitteln auf Nichtzielorganismen in den letzten Jahren erheblich abgenommen. So sind heute akzeptable Kompromisse zwischen Umweltschonung und hoher Wirkung von Pflanzenschutzmitteln auf die Zielorganismen möglich, wie Studien an der Fakultät für  Agrarwissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen mit Zuckerrüben gezeigt haben. Danach konnte in den letzten 20 Jahren das Risiko von Pflanzenschutzmitteln für Algen, Wasserflöhe und Daphnien um mehr als die Hälfte vermindert werden. Allerdings hatte der Einsatz des Pfluges einen weitaus störenderen Einfluss auf  Regenwurmpopulationen als die Applikation von Herbiziden.

Andererseits muss von einem Pflanzenschutzmittel selbstverständlich verlangt werden, dass es die Schaderregerpopulation, gegen die es zugelassen ist, auch wirksam reguliert. So belegen Untersuchungen am Julius Kühn-Institut (JKI), dass in Winterweizen und Wintergerste eine Halbierung des Aufwands an  Pflanzenschutzmitteln zu Ertragsrückgängen zwischen 5 und 13 Prozent und der vollkommene Verzicht zu Verlusten von 40 bis 50 Prozent führte. Die wirtschaftlichen Verluste von 33 bis 36 Prozent zeigen, dass ein solches Produktionssystem keine Alternative ist.

Die Untersuchungen zeigen aber auch, dass es bei Beachtung der Regeln des Integrierten Pflanzenschutzes Spielraum für die Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes gibt, ohne die Wirtschaftlichkeit des Anbaus zu verschlechtern. Allerdings sind die Möglichkeiten zur Reduktion je nach Kulturart und Art des Mittels sehr unterschiedlich. Eine pauschale Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist daher nicht sachgerecht und würde den Anbau gefährden.

Maßnahmen zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in Deutschland oder in Europa sind also nur dann vertretbar, wenn sie dem Landwirt flexibles Handeln ermöglichen, denn die Differenzierung besteht nicht nur zwischen Kulturarten und Mitteltypen, sondern viel mehr noch zwischen Klimaregionen und Jahren.

Biodiversität kann nicht der alleinige Maßstab für die Bemessung des Pflanzenschutzes sein. Eine Ackerfläche ist kein Naturschutzareal, sondern eine Nutzfläche, die primär existenzielle Bedürfnisse des Menschen befriedigen muss. Die Landwirtschaft muss jedoch gleichermaßen ein möglichst hohes Maß an Schutz der Umweltgüter Boden, Wasser, Luft und biologische Artenvielfalt, wie auch hohe Produktivität gewährleisten. Maß für die Produktivität ist zuallererst die Höhe des Ertrags, der in Mitteleuropa aufgrund der günstigen Standort- und Witterungsbedingungen im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich hoch ist. Was nutzt ein Weizenfeld mit hoher Artenvielfalt, wenn das Ertragspotenzial nicht annähernd ausgeschöpft werden kann?

Der generelle Verzicht auf Pflanzenschutzmittel würde zu unvertretbaren wirtschaftlichen Einschnitten führen und die Versorgungsfunktion der Landwirtschaft gegenüber der Gesellschaft in Frage stellen. Zielführender ist es, eine hohe Biodiversität auf den nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen zu erhalten und die Agrarlandschaft so zu gestalten, dass Produktionsflächen und natürliche Lebensräume nebeneinander ihre beidseits berechtigten Funktionen erfüllen.

Der "Nationale Aktionsplan zur Nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln" der Bundesregierung muss sich an diesen Sachverhalten ausrichten. Angestrebt wird bis 2020 eine Verminderung des Risikos durch  Pflanzenschutzmittel um 25 Prozent. Dieses Ziel kann nur durch intensive, interdisziplinäre Agrarforschung und einen konstruktiven Dialog aller beteiligten gesellschaftlichen Gruppen erreicht werden.

Quelle: Deutsche Phytomedizinische Gesellschaft e. V.

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