pfug_foto_kuhn.jpg
Ohne Glyphosat müsste wieder verstärkt gepflügt werden, um die Saat in einen unkrautfreien Boden auszubringen. Foto: Kuhn
15.03.2012
Forschung & Technik

Pflanzenschutzmittelverbote haben höhere Verbraucherpreise und Wohlfahrtsverluste zur Folge

Studien der Universität Gießen untersuchen Auswirkungen des Wegfalls von Wirkstoffen innerhalb der EU

Pflanzenschutzmittelverbote bringen Nachteile für Verbraucher, Landwirte und Umwelt. Dieses Fazit lässt sich aus Studien des Gießener Instituts für Agribusiness in Zusammenarbeit mit dem Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Universität Gießen ziehen. Die Forscher betrachteten dabei exemplarisch den Wirkstoff Glyphosat (Totalherbizid) und die Wirkstoffgruppe der Azole (Fungizide). Mittelvielfalt bietet Vorteile.

Im Rahmen der Glyphosat-Studie wurden staatliche Pflanzenschutzberater in Deutschland zu den möglichen Auswirkungen eines Verbotes befragt. Die Azol-Studie wurde auf der Grundlage von Interviews mit Pflanzenschutzberatern und Landwirten in Deutschland, England, Frankreich und Polen erarbeitet. Hier überprüften die Gießener Forscher zusätzlich verschiedene Szenarien – vom Verbot eines einzelnen Wirkstoffs aus der Azol-Gruppe mit der Möglichkeit, ihn durch andere zu ersetzen bis zum Verlust der gesamten Azol-Wirkstoffgruppe.  

Glyphosat ist ein Wirkstoff in Totalherbiziden gegen Unkräuter und Ungräser,der besonders in Ackerbaubetrieben häufig verwendet wird. Landwirte setzen ihn unter anderem ein, um Flächen vor der Aussaat von Kulturpflanzen ohne aufwändiges und kostenintensives Pflügen von Unkraut zu befreien. Die Azole bilden die momentan bedeutendste Wirkstoffgruppe zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten wie Septoria tritici und Rost im Getreide. Etwa 70 Prozent der Fungizidaufwendungen entfallen auf diese Wirkstoffgruppe.  

Erträge gehen zurück, Resistenzrisiko steigt

Die Folgen eines Verbotes wären bei beiden Wirkstoffgruppen erheblich. Die befragten Experten beziffern die Ertragsverluste bei Glyphosatverzicht in den verschiedenen Kulturen und Fruchtfolgen auf bis zu zehn Prozent, bei den Azolen im Mittel auf 15 Prozent.  

Stünden die Wirkstoffe EU-weit nicht mehr zur Verfügung, müssten die Landwirte nach Alternativen suchen. Das ist bei Glyphosat aber nur noch eingeschränkt möglich, da es in einigen Regionen bereits das einzige Herbizid ist, das gegen resistenten Ackerfuchsschwanz hilft. Dem Landwirt bliebe unter anderem die intensivere Bodenbearbeitung durch häufigeres Pflügen oder Eggen. Das wiederum triebe den Dieselverbrauch sowie die Maschinen- und Arbeitskosten nach oben. Bei einem Glyphosat-Verbot ginge zudem der Anteil der boden- und grundwasserschonenden Mulchsaatflächen zurück, denn diese können ohne Glyphosat kaum unkrautfrei gehalten werden. Also müssten diese Flächen wieder intensiver bearbeitet werden, was in Hanglagen die Erosionsgefahr ansteigen ließe.  

Eine geringere Vielfalt an Pflanzenschutzmitteln hätte nach Meinung der Befragten zur Folge, dass die verbleibenden Wirkstoffe häufiger eingesetzt werden müssten. Damit stiege das Resistenzrisiko. Stünde eine so wichtige Fungizidgruppe wie die Azole nicht mehr zur Verfügung, hätte das gravierende Folgen, die nur durch Zulassung neuer Mittel mit alternativen Wirkmechanismen abgemildert werden könnten. Ein gewaltiger Unsicherheitsfaktor.

Wenn Wirkstoffe wegfallen, geht nach Berechnungen der Gießener Forscher die Produktion von Weizen, Ölsaaten wie Raps, Mais und Futtergetreide wie zum Beispiel Gerste in der EU-27 zurück. Im Fallbeispiel der Azole lag der Rückgang je nach Szenario zwischen 0,1 und 12,3 und beim Glyphosat-Beispiel zwischen 4,3 und 7,3 Prozent. Dadurch würde Europa vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur von Weizen und Futtergetreide. Das Importdefizit bei Ölsaaten und Mais stiege noch weiter an.  

Gravierende wirtschaftliche Folgen bei Einschränkung der Pflanzenschutzmittelvielfalt

Die Wohlfahrtsverluste in der EU-27 lägen nach Berechnungen der Gießener Forscher bei 1,4 Milliarden US-Dollar bei einem Verbot von Glyphosat – und bei 3,3 Milliarden US-Dollar bei einem Azolverbot. Die Summen setzen sich aus den Verlusten beziehungsweise Mehrausgaben in der Landwirtschaft sowie bei Verbrauchern und Steuerzahlern zusammen. 

Kleinere Ernten bedeuten eine knappere Versorgung der Märkte und in der Folge steigende Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Agrarwissenschaftler rechnen mit einem Preisanstieg von bis zu neun Prozent. Besonders hart betroffen wären davon die Nettoimportländer und die Verbraucher in Entwicklungsländern. Eine weitere Ausdehnung der Produktion in den Hauptanbauregionen außerhalb Europas wäre die logische Anpassungsreaktion des Marktes. Damit würden die verfügbaren Bodenreserven noch schneller schrumpfen als es durch das Bevölkerungswachstum ohnehin schon der Fall ist.

Weitere Beiträge: