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Dr. Michael Habermann ist Leiter der Abteilung Waldschutz der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen. Foto: Habermann
17.11.2016
Umwelt & Verbraucher

Forstschädlinge im Klimawandel

Überlebens- und Anpassungsstrategien von Schädlingspopulationen im Wald

Das IVA-Magazin hat mit Dr. Michael Habermann darüber gesprochen, welche Überlebensstrategien Schädlinge im Wald nutzen, was der Klimawandel bewirkt und wie die aktuelle Situation in den nordwestdeutschen Wäldern aussieht. Dr. Habermann ist Leiter der Abteilung Waldschutz der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen. Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung und Dienststelle der Länder Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Sie gliedert sich in die vier Abteilungen Waldwachstum, Waldschutz, Waldgenressourcen und Umweltkontrolle. Die NW-FVA ist für 2,7 Millionen Hektar Wald, knapp ein Viertel der deutschen Waldfläche, zuständig.

Herr Dr. Habermann, welche Witterungsbedingungen begünstigen das Anwachsen von Schädlingspopulationen?

Das kann man so generell nicht sagen. Viele Menschen denken ja, dass tiefe Wintertemperaturen die Schadorganismen mehr dezimieren als milde Winter. Aber Insekten und Pilze leben nach anderen Regeln als wir Menschen. Große Schädlingspopulationen entstehen meist, wenn mehrere artspezifische Ursachen zusammentreffen. Das sind neben der Witterung die Gegenspieler des Schädlings wie Räuber oder Parasiten, das Nahrungsangebot, die Konkurrenz, der Stoffwechsel der Wirtspflanze oder deren Krankheiten. Die Witterung ist also nur ein Faktor von vielen.

Welchen Einfluss haben dann die zunehmend milden Winter?

Unsere heimischen Insektenarten sind meist sehr gut an die normale Witterung angepasst, und sie vertragen die in unseren Breitengraden übliche Kälte. Sie nutzen spezielle Überwinterungsquartiere oder bilden Ruhestadien aus, bei denen sie den Stoffwechsel reduzieren. Blattwespen zum Beispiel können so bis zu mehreren Jahren im Boden überdauern. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind milde und feuchte Winter für viele Insekten schlimmer als Frosttemperaturen. Und der Wechsel zwischen warm und kalt erzeugt ebenfalls Stress, weil dann der Kälteschutz zu früh aufgegeben wird und das Insekt zusätzliche Energie zum Überleben braucht.

Mit welchen Überlebensstrategien reagieren die Insekten auf für sie widrige Bedingungen?

Sie sind sehr anpassungsfähig. So zeigt der Buchdrucker (Ips typographus) beispielsweise eine Risikostreuung, die manchen Aktienanleger neidisch macht. Er kann nämlich sowohl im Boden als auch im Brutmaterial in verschiedenen Stadien überwintern. Bei strengem Frost sterben dann die weißen Stadien (Larven und Puppen) im Baum, weil sie dort nicht so gut geschützt sind wie die erwachsenen Käfer, die im Boden überwintern. Diese haben aber wiederum bei feuchtwarmem Wetter Probleme, weil sie dann früher aufwachen, Energie verbrauchen und ihren Gegenspielern, im Boden insbesondere Pilzen, ausgesetzt sind. Der Käfer passt sich so sehr gut an die sich wandelnden Lebensbedingungen im Wald an und sichert damit langfristig sein Überleben.

Und dann kommt es zur Massenvermehrung?

Nicht unbedingt. Für eine Massenvermehrung müssen mehrere Faktoren zusammentreffen. Der Buchdrucker braucht zunächst viel Brutmaterial; das bekommt er zum Beispiel durch eine nicht sorgfältige Wirtschaftsweise oder auch durch Sturm. Wenn dann noch günstige Umweltbedingungen und eine geringe Sterblichkeit hinzukommen, bricht eine Gradation aus. Ein Winter mit guten Überwinterungsbedingungen reicht allein nicht aus. Anders ist es bei vielen Blattläusen. In milden Wintern überleben erwachsene Fichtenröhrenläuse (Liosomaphis abietina, Syn. Elatobium abietinum) und vermehren sich im Frühjahr gleich weiter, während in kalten Wintern nur die Eier überleben und dann die Befallsdichte im Frühjahr erheblich geringer ist.

Gibt es aktuelle Beispiele von Massenvermehrungen?

Ja. Mitte September 2016 musste eine spontane Massenvermehrung der Kiefernbuschhornblattwespe (Diprion pini) mit Hubschraubern aus der Luft bekämpft werden, auf etwa 900 Hektar in Niedersachsen und 600 Hektar in Sachsen-Anhalt. Diese Tiere reagieren auf günstige Bedingungen im Frühjahr und machen dann spontan eine 2. Generation, was im Herbst zu Kahlfraß führt – der Klimawandel lässt grüßen! Hinzu kommt, dass neuerdings eine mediterrane Pilzart latent in der Kiefer vorkommt, die nach starkem Nadelverlust die Leitungsbahnen verstopft – die befressenen Kiefern sterben dann ab – anders als noch vor 30 oder 50 Jahren, als es den Pilz noch nicht in diesem Umfang bei uns gab.

Was raten Sie den Forstbetrieben?

Inwieweit sich der Klimawandel auf Forstinsekten auswirken wird, ist noch schwer abzuschätzen, vermutlich wird das Risiko steigen. Umso wichtiger sind betriebliche Anpassungen und der Erhalt wichtiger Handlungsoptionen, zum Beispiel im Bereich verfügbarer Pflanzenschutzmittel.

Herr Dr. Habermann, vielen Dank für das Gespräch.

 

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