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Die Kinder arbeiten in Kleingruppen in allen Bereichen des Betriebs, wie hier im Stall. Foto: Schulbauernhof Pfitzingen
14.02.2017
Schule & Wissen

Lernort: Schulbauernhof

Lernen und Erleben als schulergänzendes Konzept

Immer mehr Menschen leben in Großstädten, doch auch auf dem Land wissen nicht mehr alle Leute, wie unsere Landwirtschaft genau funktioniert. Schulbauernhöfe sind eine Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen die Erzeugung von Nahrungsmitteln näher zu bringen. Das IVA-Magazin sprach mit der Leiterin des Schulbauernhofs Pfitzingen, Eva-Maria Rapp, über das Konzept des einzigen staatlichen Schulbauernhofs.

Frau Rapp, was ist ein Schulbauernhof?

Das lässt sich gar nicht so einfach beantworten. In Deutschland gibt es mehr als zehn Schulbauernhöfe, die sich sowohl in ihrer landwirtschaftlichen Grundlage als auch in ihrem Leitbild, ihrer Philosophie und ihrem pädagogischen Konzept unterscheiden. Das Grundkonzept bei allen Schulbauernhöfen ist, dass Schülerinnen und Schüler einige Tage auf dem Hof verbringen und sich dort einbringen. Schulbauernhöfe sind eine Art landwirtschaftliche Schullandheime.

Stellen Sie den Schulbauernhof Pfitzingen doch mal vor!

Der Schulbauernhof Pfitzingen in Pfitzingen bei Niederstetten ist eine Einrichtung des Landes Baden-Württemberg mit Erziehungs- und Bildungsauftrag. Er ist direkt dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport zugeordnet. Die Kosten für den Betrieb werden vom Land Baden-Württemberg getragen. Der zum Teil 300 Jahre alte Gebäudebestand befindet sich im Besitz der Schulstiftung Baden-Württemberg. Das Team des Schulbauernhofs umfasst 15 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit sowie Praktikumsstellen.

Der landwirtschaftliche Betrieb umfasst 20 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche mit vielfältiger Fruchtfolge, Obst- und Gartenbau sowie Weinbau zur Traubensaft-Gewinnung und Holzeinschlag zur Gewinnung von Brennholz. Ebenso vielfältig ist die Tierhaltung mit Milchkühen, Milchziegen, Schafen, Mastschweinen, einer Muttersau, Legehennen, Stallhasen, Bienen sowie einem Pferd. Unser Betrieb ist als Selbstversorgerbetrieb angelegt und wird so bewirtschaftet, dass er etwa 90 Prozent der Schülerverpflegung bereitstellt.

Was lernen die Kinder, die zu Ihnen kommen, und wie alt sind sie?

Ziel unserer pädagogischen Arbeit ist, dass die Kinder und Jugendlichen ganz praktisch, eigenaktiv und mit allen Sinnen lernen, „woher das Essen kommt“. Die meisten Kinder sind in der 5. und 6. Klasse, also zwischen 11 und 13 Jahre alt. Klassen der Oberstufe oder Kindergartengruppen aus der Umgebung kommen nur ausnahmsweise zu Projekttagen auf den Hof. Das Konzept des Schulbauernhofs sieht vor, dass die Klassen ein bis zwei Wochen auf dem Schulbauernhof verbringen und während ihres Aufenthalts in angeleiteten Kleingruppen in allen Bereichen des Betriebs – im Stall, im Haus und auf dem Feld – mitarbeiten. Auf diese Weise lernen die Schüler alle Arbeitsbereiche der landwirtschaftlichen Produktion, der Verarbeitung und der Nahrungszubereitung kennen und gewinnen viele Einblicke und Einsichten in Zusammenhänge. Einen Tag arbeiten die Schüler in einem modernen landwirtschaftlichen Nachbarbetrieb und lernen dort im Gegensatz zu unserer „Selbstversorgerlandwirtschaft“ die „Produktionslandwirtschaft“ kennen, deren Erzeugnisse zu Hause auf ihre Teller kommen. Außerdem dürfen die Schüler beim "Grünen Markt", einer kleinen Vermarktungsgenossenschaft regionaler Produkte, auf dem Wochenmarkt mitarbeiten.

Wie ist die Erfahrung der Lehrer und Eltern?

Die Lehrer berichten uns, dass ihre Schüler von einem Aufenthalt auf dem Schulbauernhof neben naturwissenschaftlichen Grundlagen-Erfahrungen und fachlichem Wissen eine große Motivation mit nach Hause nehmen, sich mit Ernährungs- und Verbraucherfragen, aber auch mit landwirtschaftlichen und anderen naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu beschäftigen.

Das Zusammenleben und -arbeiten der Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit den begleitenden Lehrkräften – weitgehend ohne Smartphone und Spielkonsole – ist zwar mitunter recht anstrengend, führt jedoch bei den meisten Klassen zu einem besseren Miteinander, zu einer stärkeren Gemeinschaft und Zusammenhalt, von der die Schüler profitieren. Die Erfahrung, eine gestellte Aufgabe zu bewältigen, sich dabei umsichtig selbst zu organisieren, Werkzeug fachgerecht und sicher zu handhaben, Ängste und Vorbehalte zu überwinden, sich selbst zu motivieren, sich mit anderen abzustimmen, stärkt das Selbstvertrauen und die Selbstwahrnehmung der Schüler. Der Schulbauernhof Pfitzingen wurde 2008/2009 als offizielles UNESCO-Projekt der Bildung für Nachhaltige Entwicklung anerkannt.

Warum müssen sich die Schulen/Klassen bei Ihnen bewerben?

Grundsätzlich können sich alle Klassen der allgemeinbildenden Schulen aus Baden-Württemberg ab den 4. Klassenstufen formlos bei uns bewerben und ihre Motivation, ihre Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen zum geplanten Schulbauernhof-Aufenthalt zum Ausdruck bringen. Wir können aber jährlich nur etwa 25 Aufenthalte durchführen, und die Schüler sollen entsprechend ihrem Alter passend zu den im Jahresverlauf anstehenden landwirtschaftlichen Tätigkeiten und deren Anforderungen eingesetzt werden. Deshalb müssen wir eine Auswahl treffen. Auch Lehrer und Eltern müssen sich intensiv mit der Arbeitsweise des Schulbauernhofs, den Abläufen, Regeln und Anforderungen auseinandersetzen. Das Bewerbungsverfahren stellt damit einen wichtigen Baustein in der Qualitätssicherung der pädagogischen Arbeit dar.

Wie kam es zu dem staatlichen Konzept?

Die Idee, einen Schulbauernhof einzurichten, entstand in der Schule: Ein Lehrer an einer baden-württembergischen Hauptschule erkannte die Bedeutung der Mitarbeit auf landwirtschaftlichen Betrieben für seine Schüler und sammelte erste Erfahrungen. Im Kultusministerium stieß sein Engagement auf großes Interesse und Entgegenkommen. Nachdem der Landtag von Baden-Württemberg dem Vorhaben und der Bereitstellung der  finanziellen Mittel sowie der personellen Ausstattung grundsätzlich zugestimmt hatte, wurde in einem landesweiten Ausschreibungsverfahren der heutige Standort gefunden. Im April 1992 nahm dann der Schulbauernhof Pfitzingen seinen Betrieb auf.

Dann feiern Sie 2017 Ihr 25-jähriges Jubiläum?

Ja, und wir haben dazu zwei Veranstaltungen geplant: Am 5. April 2017 findet ein Fachkongress zum Thema "Bildungsauftrag der Schule und Lernen auf dem Schulbauernhof" statt. Am 17. September 2017 ist ein "Tag der offenen Tür" für die Öffentlichkeit geplant. Vom 14. bis 18. Februar 2017 ist der Schulbauernhof Pfitzingen auf der Bildungsmesse didacta in Stuttgart vertreten. Wir sind dort am Gemeinschaftsstand des Netzwerks „Lernort Bauernhof“ beteiligt, der vom Verein i.m.a - information. medien. agrar e. V. koordiniert wird. Außerdem sind wir auf der Messe mit einer Aktion zum Thema Kartoffelanbau auf der Sonderschaufläche „Außerschulisches Lernen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof vertreten.

Frau Rapp, vielen Dank für das Gespräch. Wir gratulieren dem Schulbauernhof Pfitzingen zum 25-jährigen Bestehen und wünschen weiterhin viel Erfolg.

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