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Entnahme von Bakterienschleim einer blutenden Kastanie zur weiteren Untersuchung. Quelle: Dr. Monika Heupel
08.04.2008
Umwelt & Verbraucher

Wenn Kastanien bluten

Eine neue bakterielle Erkrankung an Kastanien breitet sich im Rheinland aus

Schwarze, nässende Verfärbungen an Stamm und Ästen brachten dem Kastaniensterben den Namen ‚bleeding cancer’ ein, zu deutsch ‚blutender Krebs’. Auslöser ist das Bakterium Pseudomonas syringae pv. aesculi. Baumfreunde können wenig tun: erkrankte Äste zurückschneiden und auf die Selbstheilungskräfte der Natur hoffen. Die Baumkrankheit tritt bereits seit einigen Jahren in Großbritannien, Belgien und den Niederlanden auf und hat inzwischen Deutschland erreicht. In Nordrhein-Westfalen erfasst der Pflanzenschutzdienst der Landwirtschaftskammer die Schäden, untersucht kranke Bäume und berät Gartenbesitzer und Betreiber öffentlicher Grünflächen. Profil Online sprach mit Dr. Monika Heupel, Expertin für Pflanzenerkrankungen des Pflanzenschutzdienstes in Bonn-Roleber.

Profil Online: Seit wann bluten die Kastanien im Rheinland?

Vor zwei Jahren erhielt der Pflanzenschutzdienst in Bonn-Roleber die ersten Proben von kranken Bäumen. Zunächst vermuteten wir Phytophthora als Ursache. Dieser Schadpilz ist bei Kastanien weit verbreitet, und die Symptome sind zumindest auf den ersten Blick ähnlich. In den Proben konnten wir dann aber nur Bakterien der Gattung Pseudomonas finden. Die Untersuchung des Erbguts zeigte eindeutig, dass es die gleichen Erreger waren wie beim Kastanienbluten in England und den Niederlanden.

Profil Online: Wie kann man das Kastanienbluten erkennen?

Im Anfangsstadium ist es schwer, die bakteriellen Ursachen von pilzlichen Erkrankungen wie z.B. Phytophthora zu unterscheiden. Sie zerstören die Leitungsbahnen unter der Rinde. Das Laub verfärbt sich und fällt ab, dann sterben die Äste ab. Erst später zeigen sich die typischen Dellen und Längsrisse in der Rinde und die blutenden Wunden bis hinauf zu den Ästen in der Krone. Auch bei Phytophthora bluten die Stämme, allerdings nur im unteren Bereich. Das Pseudomonas-Bakterium verteilt sich wahrscheinlich mit dem Saftstrom im gesamten Baum.

Profil Online: Ist die Krankheit heilbar, und wie stecken sich die Bäume an?

Da die Krankheit noch nicht lange bekannt ist, fehlt es an Untersuchungen. Auf jeden Fall wehrt sich der Baum gegen die Bakterien. Deutlich erkennbar sind die streifenartigen Verfärbungen des Holzes im Wundbereich. Der Baum sondert Substanzen ab, die die Zellen um die infizierte Stelle herum absterben lassen, um eine Ausbreitung des Krankheitserregers zu verhindern. Überspringt das Bakterium die Sperre, bildet der Baum erneut einen Verteidigungsgürtel. So entstehen abwechselnd helle und dunkle Streifen im Holz. Es gibt unterschiedlich empfindliche Kastanienbäume. In den Niederlanden wird hierzu intensiv geforscht. Dort sind bereits 40 Prozent der Kastanien vom Pseudomonas-Bakterium befallen. Zu den weniger empfindlichen Sorten zählen zum Beispiel Aesculus flava und Aesculus pavia. Noch wissen wir nicht, wie sich die Bäume anstecken. Sehr wahrscheinlich verbreitet sich das Bakterium mit der Hilfe von Wind, Wasser und Vögeln. Um in die Bäume einzudringen nutzt es möglicherweise - wie andere Bakterien auch - Wunden und offene Stellen wie die Blüten oder die Spaltöffnungen der Blätter.

Profil Online: Können auch andere Bäume angesteckt werden?

Nein, das kann man nach umfangreichen Versuchen in den Niederlanden ausschließen. Diese Pseudomonaden sind „wirtsspezifisch“, das heißt, Pseudomonas syringae pv. aesculi kann nur Rosskastanienbäume befallen. Die Gattung Castanea, die Esskastanie, befällt es nicht. Allerdings gibt es in der Familie der Pseudomonas-Bakterien andere Arten, die als Krankheitserreger an Gehölzen bekannt sind. Pseudomonas syringae, pv. syringae befällt beispielsweise zahlreiche Gehölze, darunter Obstbäume und Flieder.

Profil Online: Was empfehlen Sie Gartenbesitzern mit kranken Bäumen?

Wenn die Bäume stark erkrankt sind und viel Holz faul oder abgestorben ist, müssen die Baumbesitzer die Verkehrssicherheit gewährleisten. Besteht die Gefahr, dass der Baum beim nächsten Sturm umstürzt, sollte er vorsorglich gefällt werden. Abgestorbene Äste sollten regelmäßig entfernt werden, damit niemand zu Schaden kommt. Ungeschredderte Holzabfälle verrotten nur langsam und eignen sich deshalb nicht für den Kompost. Sie können im Restmüll oder bei städtischen Einrichtungen für Grünabfälle entsorgt werden. Das Verarzten der Wunden ist keine Bekämpfungsmaßnahme. Der Baumschnitt mit undesinfizierten Werkzeugen kann die Infektion übertragen. Sicher ist, dass ein guter Standort dem Baum die besten Chancen bietet, abwehrkräftig zu sein. Ansonsten empfehle ich allen Baumbesitzern: Genießt eure Bäume, Panik hilft nicht.

Profil Online: Was unternimmt der Pflanzenschutzdienst gegen die Krankheit?

Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Bürger, Baumschulen und die Grünflächenämter zu informieren, zum Beispiel mit Infoblättern, die wir an alle Städte verschicken. Wir beteiligen uns an einer bundesweiten Bestandsaufnahme in dem wir unsere Beobachtungen an das Julius-Kühn-Institut (früher Biologische Bundesanstalt BBA) melden. Natürlich bieten wir auch an, Proben zu untersuchen. Die Gebühr für die Isolation und Bestimmung der Bakterien beträgt 60 Euro. Umfassende Informationen zu der Krankheit und zu weitergehenden Untersuchungen sowie ein allgemeiner Fragebogen für Pflanzenuntersuchungen sind auf unserer Internetseite www.pflanzenschutzdienst.de zu finden.