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Dr. Harald Maier ist Agrarmeteorologe beim Deutschen Wetterdienst. Foto: Deutscher Wetterdienst
03.04.2013
Umwelt & Verbraucher

Spätes Frühjahr – machen Pflanzen den Rückstand wieder wett?

Temperaturen und Tageslängen steuern Entwicklung

In manchen Jahren lassen die dauerhaft zweistelligen Tageshöchsttemperaturen im Frühjahr lange auf sich warten. Wenn die Natur wochenlang hinter ihrem „Plan“ herhinkt, fragen sich viele, ob das bereits Auswirkungen auf Erträge und Qualitäten hat. Dr. Harald Maier beschäftigt sich mit diesen Fragen. Er ist Agrarmeteorologe beim Deutschen Wetterdienst in Weihenstephan bei München.

Ein langer Winter ist für Sonnenanbeter, Hobbygärtner oder Landwirte eine echte Geduldsprobe…

Ja, das stimmt. Das Typische an unserem mitteleuropäischen Klima ist seine Variabilität. In den letzten Jahren gab es viele milde und kurze Winter. Schon zeitig im Jahr setzte die Vegetation bei Tagesdurchschnittstemperaturen über fünf Grad Celsius ein. Daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Trotzdem gab und gibt es immer wieder auffällige Ausreißer. Neben 2013 mussten wir auch in den Jahren 2006 oder 1996 lange auf den Frühling warten. 

Wann sprechen die Agrarmeteorologen von einem späten Frühjahr?

Für uns zählt der phänologische Kalender. Die wiederkehrenden Ereignisse in der Natur geben die Jahreszeiten vor. Wenn Forsythien blühen oder Weiden und Wiesen ergrünen, beginnt nach phänologischer Definition der Erstfrühling. Die Apfelblüte zeigt den Vollfrühling an. Im milden Südwesten Deutschlands ist das im langjährigen Mittel bereits Mitte April, in den Mittelgebirgslagen und den Küsten erst Mitte Mai der Fall. Eine Situation wie 2013, in der besonders in der Nordosthälfte der Winter bis in den April anhält, ist schon ungewöhnlich. 

Trotzdem wird das Getreide immer in einem relativ engen Zeitfenster reif. Wie holen die Pflanzen den Rückstand auf?

Die Entwicklungsstadien der Pflanzen, vor allem die frühen, verkürzen sich. Beim Wintergetreide gilt das besonders für die sogenannte Bestockungsphase. In dieser Zeit bildet die Pflanze mehrere Seitentriebe, aus denen sich später die ährentragenden Halme entwickeln. Die Phase endet mit dem Beginn des Langtags, der ab Anfang April mit Tageslängen von 14 Stunden und mehr einsetzt. Nach gut 20 Langtagen beginnt bei mitteleuropäischen Weizensorten das Längenwachstum. Die Pflanze treibt jetzt in die Höhe. Anders ist es bei Kartoffeln oder Mais. Wenn sie später gepflanzt oder gesät werden, dauert Ihre Entwicklung bis zur Erntereife meistens auch etwas länger. Aber nicht immer. Herrschen während der Wachstumsmonate durchgängig sehr gute Bedingungen, holen die Pflanzen auf. Denn es ist keineswegs selten, dass beispielsweise ein kalter Mai die zuvor gut entwickelten Kulturen um eine oder zwei Wochen bremst. 

Ab wann drohen für Landwirte und Gärtner Ernteeinbußen?  

Das kommt auf die Kultur an. Bei Getreide bilden die generativen Organe, also die Körner in den Ähren, den Ertrag. Er setzt sich aus den Komponenten Anzahl der ährentragenden Halme, Körner pro Ähre sowie Korngewicht zusammen. Diese werden in unterschiedlichen Phasen angelegt und ausgebildet. Bei Getreide kommt es zu Ertragsausfällen, wenn sich zu wenige Seitentriebe bilden. Der Bestand ist zu dünn und die Pflanzen können das nicht mehr durch schwerere Ähren, also durch mehr und größere Körner, ausgleichen. Besonders betroffen ist spät gesäter Winterweizen nach später Rüben- oder Maisvorfrucht, der schwach bestockt in den Winter geht. Das gilt auch für Sommergetreide, falls es erst im April in den Boden kommt und keimt. Besonders in trockenen Jahren treibt die Pflanze dann die Ährenbildung und damit die generative Entwicklung voran anstatt sich zu bestocken und Wurzeln zu bilden. Anders ist die Situation beim Obst. Eine spätere Blüte infolge eines späten Wachstumsbeginns muss nicht immer schlecht sein. Denn dann sind die Pflanzen noch frostresistent, und das Risiko für Schäden durch Spätfröste sinkt. 

Und wie verhalten sich Pflanzen, bei denen die vegetativen Organe geerntet werden?

Beispiele sind Grünland oder Zuckerrüben. Je länger sie auf dem Acker stehen und Photosynthese betreiben können, desto höher ist der Ertrag der Blattmasse beziehungsweise der Rübenwurzel. Deshalb ist hier ein früher Wachstumsbeginn sehr wichtig. In den Jahren 2011 und 2012 konnte man das bei Zuckerrüben sehr gut beobachten. Dank der Aussaat Ende März war die maximale Blattfläche bald erreicht, beste Voraussetzungen für eine hohe Photosyntheseleistung und Zuckerproduktion. Bei Saatterminen ab Ende April gibt es deutlich geringere Zuckererträge pro Hektar. Ähnliches gilt auch für Kartoffeln. Sie sind zwar grundsätzlich flexibel in der Saatzeit, aber bei Spätpflanzungen ab Mitte Mai sinken  unabhängig von der Verwertungsrichtung Erträge und Qualitäten. 

Welche Möglichkeiten gibt es, die eigenen Kulturen zu unterstützen?

Gärtner können ihre Kartoffeln vor der Pflanzung vorkeimen und nachher mit Folie abdecken. Folien bringen Rosen oder Spalierbäume gut durch den Winter und ermöglichen ihnen im Frühjahr einen schnellen Start. Der Boden unter den Obstbäumen sollte schwarz, das heißt frei von Bewuchs gehalten werden. Dadurch strahlt er nachts mehr Wärme ab, und die Temperaturen sinken in der bodennahen Luftschicht nicht so tief ab. Im Acker- und Gartenbau sind die Kulturen auf eine gute Nährstoffversorgung mit Phosphor, Kalium, Magnesium oder Mangan angewiesen. Bei einer späten Sommergetreidesaat erhöhen Landwirte die Zahl der ausgesäten Körner pro Quadratmeter deutlich, um die geringere Bestockung auszugleichen. Wichtig ist eine frühe Stickstoffgabe im Wintergetreide, die ebenso wie ein Wachstumsregler die Bestockung anregen kann. Vor allem mineralischer Stickstoff in Form von Nitrat und Ammonium ist schnell pflanzenverfügbar. Ökobetriebe dürfen diese Dünger nicht einsetzen. Bis der Stickstoff aus organischen Düngern oder aus dem Bodenvorrat pflanzenverfügbar ist, vergehen oft entscheidende Tage oder Wochen. Der Boden muss sich nämlich zunächst erwärmen, damit die Mikroorganismen den Nährstoff aufschließen können.

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